Jurassic SS 1999

Selbständigkeit - die Alternative


Interview mit Rechtsanwalt Dr. Stephan Greger  

J: Herr Dr. Greger, Sie haben sich nach dem zweiten Examen selbständig gemacht, was durchaus nicht üblich ist. Könnten Sie uns Ihre Gründe für diese Entscheidung nennen?

Greger: Dazu ist zu sagen, daß ich mich nicht unmittelbar nach dem II. Examen selbständig gemacht habe, sondern zuerst meine Promotion beendet und danach einige Zeit bei der Dresdner Bank in Frankfurt gearbeitet habe. Diese Tätigkeit entsprach insofern nicht meinen Vorstellungen, daß ich weniger mit juristischen Inhalten als vielmehr mit allgemeinen bankbetrieblichen Aspekten beschäftigt war. Anschließend ging ich nach Regensburg zurück. Dort arbeitete ich für kurze Zeit in einer Kanzlei und entschied mich dann für die Gründung einer eigenen Kanzlei. Vor diesem Entschluß erwog ich noch weitere Alternativen und bewarb mich auch bei einer der größeren Law Firms in München. Deren Angebot lehnte ich aber letztendlich ab - was nicht daran lag, daß ich örtlich unflexibel war. Grundlage meiner Entscheidung war, daß ich die dort geforderte Arbeitsleistung lieber in eine eigene Kanzlei investieren wollte. Darüber hinaus sehe ich die mit der Selbständigkeit einhergehende persönliche und berufliche Unabhängigkeit als Vorteil an.

J: Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache dafür, daß sich so wenige Volljuristen bewußt für diesen Weg entscheiden?

Greger: Ich denke, ein Hauptproblem liegt in der Einschätzung vieler, daß weder die universitäre Ausbildung noch das Referendariat genügend praktische Kenntnisse vermitteln. Diese Kritik ist sicherlich berechtigt, es gibt durchaus Defizite.
Daher entscheiden sich wohl die meisten dafür, erst einige Jahre in einer Kanzlei zu arbeiten, zumal damit auch keine finanziellen Risiken verbunden sind. Ferner ist nicht jeder der Typ für die Selbständigkeit, immerhin trägt man die gesamte unternehmerische Verantwortung allein. Meiner Einschätzung nach ist die Selbständigkeit nicht der einfachste Weg.

J: Wo sehen Sie denn die Defizite in der Ausbildung bezüglich des Anwaltsberufs?

Greger: Ich sollte voranstellen: Ich bin kein vehementer Kritiker der Juristenausbildung. Insgesamt halte ich die Juristenausbildung für besser als sie oftmals dargestellt wird.
Gerade am Studium wird ja oft kritisiert, es behandele bestimmte Themengebiete nicht oder nicht ausreichend. Grundsätzlich bin ich nicht dieser Meinung, allerdings fehlt doch in einigen Bereichen, wie z.B. der Büroorganisation, dem Arbeitsablauf einer Kanzlei, Berufsrecht etc. der Praxisbezug. Diese Lücke kann z.B. durch ein Praktikum in einer Kanzlei geschlossen werden. Man muß leider sagen, daß eine fertig ausgebildete Anwaltsgehilfin häufig bessere Kenntnisse z.B. im Zwangsvollstreckungsrecht besitzt als ein frisch aus dem Examen kommender Jurist.
Ich bin aber der Auffassung, was sich für mich auch immer wieder bestätigt, daß das Jurastudium dazu befähigt, sich innerhalb kürzester Zeit in fremde Rechtsgebiete einzuarbeiten.
Diese Fähigkeit halte ich für wichtiger als den Erwerb von auswendig gelerntem Wissen.

J: Allerdings haben Sie promoviert, was erhöht wissenschaftliches Arbeiten erfordert.

Greger: Sicher, die Promotion erleichtert schon einiges, das Arbeiten mit Kommentar- und Sekundärliteratur wurde durch die Promotion einfach vertieft.

J: Was waren denn ursprünglich die Gründe für die Promotion? Stand dahinter das Interesse an einer wissenschaftlichen Laufbahn oder eher die wirtschaftlichen Aspekte eines Titels?

Greger: Eine universitäre Laufbahn strebte ich nicht an, das wissenschaftliche Interesse ist aber durchaus vorhanden. Dieses ist auch unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Promotion. Nur aus opportunistischen Gründen zu promovieren, halte ich für problematisch, es ist aber nicht unüblich, da insbesondere in den Großkanzleien die Promotion inzwischen obligatorisch ist. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß die Position z. B. gegenüber Richtern und Mandanten erheblich besser ist. Man signalisiert damit, daß man in jedem Fall ein solides juristisches Wissen vorzuweisen hat. In Regensburg haben ca. 10 % der Anwälte promoviert, womit ein Titel auch bei der Akquisition von Mandanten sehr hilft.

J: Wie lange haben Sie jetzt eigentlich schon Ihre Kanzlei?

Greger: Zugelassen als Anwalt bin ich seit Mai 1998, und die Kanzlei habe ich Anfang diesen Jahres eröffnet, also erst relativ kurz. Ich bin also noch mitten in den Anfangsschwierigkeiten, z.B. bei der Organisation des Kanzleibetriebs. Hinzu kommt der Gewinn von Mandaten, der natürlich essentiell ist, v.a. in finanzieller Hinsicht, denn die festen Kosten bleiben jeden Monat, das Gehalt der Angestellten, die Miete, Materialkosten, Fachzeitschriften etc.

J: Wie ist denn die Konkurrenzsituation in Regensburg? Viele wählen doch letztendlich den Anwaltsberuf in Ermangelung anderer Möglichkeiten. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung diesbezüglich?

Greger: Ähnlich wie auch in anderen Landgerichtsbezirken ist die Anwaltsdichte in Regensburg sehr hoch. Dadurch hat sich auch hier der Konkurrenzkampf verschärft.
Letztlich gilt jedoch der Grundsatz: "Konkurrenz belebt das Geschäft"; und ich bin der Überzeugung, daß es auch heute noch möglich ist, sich durchzusetzen.

J: Ein großes Problem ist offensichtlich die Mandantenakquisition. Wie gehen Sie damit um? Mit einem Schild an der Tür ist es sicherlich noch nicht getan.

Greger: Ja, das ist richtig. Natürlich wartet niemand auf einen frisch zugelassenen Rechtsanwalt...
Für mich persönlich erleichtert sich dieser Bereich durch die Kooperation mit einer großen Steuerkanzlei.
Darüber hinaus empfiehlt es sich für den jungen Rechtsanwalt, seinen Bekanntheitsgrad durch gesellschaftliches Engagement, z.B. in Vereinen zu steigern. Auch Vortragsveranstaltungen und Referate zu aktuellen rechtspolitischen Themen (z.B. Scheinselbständigkeit) erweisen sich als effektiv.

J: Haben Sie sich denn auch manche Tips bei Anwaltsseminaren oder erfahrenen Kollegen geholt?

Greger: Die Teilnahme an anwaltlichen Fortbildungsveranstaltungen halte ich für sinnvoll und notwendig. Die Kollegen helfen in der Regel nur, wenn persönliche Beziehungen bestehen. Ansonsten ist man auf sich alleine gestellt.

J: Wie lange hat eigentlich die Vorbereitungszeit bis zur endgültigen Eröffnung gedauert, die Einstellung von Angestellten, Anschaffung von Bürogeräten usw.?

Greger: Das hat ca. drei Monate gedauert, aber so etwas reift ja. Ich habe mir zuerst ein Konzept gemacht, auch um mir über die Kosten im Klaren zu sein. Die Kanzlei ist aus Eigenmitteln finanziert, wobei ich erst einmal klein anfangen wollte, um dann aber auf einer soliden Basis zu wachsen. Ich habe hier jetzt eine eher kleine Kanzlei, dies erforderte nicht allzuviel Planung, das übliche, Kopier- und Faxgerät, Computer etc.

J: Können Sie sich vorstellen, einmal einen Fachanwalt zu machen oder haben Sie vor, weiter in der Breite zu arbeiten?

Greger: Ja, einen Fachanwalt möchte ich auf alle Fälle machen, insbesondere im Arbeitsrecht. Das ist ein Gebiet, das mir im Studium und im Referendariat kaum Spaß gemacht hat, jetzt in der Praxis aber sehr interessant ist. Die "Breite" muß man eher eingeschränkt sehen, beispielsweise bin ich nicht familien- oder strafrechtlich tätig, außer im Steuerstrafrecht, verwaltungsrechtlich ebenfalls nicht. Es ist also eine zivilrechtlich orientierte Kanzlei, was letztlich auch so bleiben soll, mit steuer- und gesellschaftsrechtlichem Bezug.

J: Könnten Sie sich auch vorstellen, sich später zusammenzuschließen, eine Sozietät zu gründen?

Greger: Ja, das ist geplant, ich muß allerdings noch den passenden Partner finden. Was trotz der Vielzahl der Anwälte sicher nicht einfach wird. Wenn ich mich in voraussichtlich zwei bis drei Jahren vergrößere, dann möchte ich auf jeden Fall gern einen Sozius haben oder eine Bürogemeinschaft gründen.

J: Während des Studiums wird häufig der Wert von Auslandsaufenthalten und z.B. dem Titel des LL.M. betont. Welche Bedeutung würden Sie dem beimessen, auch vor dem Hintergrund Ihrer jetzigen Erfahrungen?

Greger: Ich halte das prinzipiell für eine sehr gute Sache. Hier in Regensburg schätze ich den Nutzen aber als eher gering ein, meines Wissens gibt es hier in Regensburg auch keinen Anwalt, der den Titel des LL.M. trägt. Bei internationaler Ausrichtung ist dieser Abschluß einfach nötig, aber hier auf lokaler Ebene ist er wenig gewinnbringend, da einfach schon das Klientel fehlt. Es gibt zwar auch größere Firmen, aber der internationale Bezug ist nicht gegeben. Für die persönliche Weiterentwicklung ist ein Auslandsaufenthalt aber natürlich sehr lohnend. Ich wollte mein Studium möglichst schnell abschließen, die Möglichkeit des Auslandsaufenthaltes blieb in den acht Semestern leider außen vor. Das bedauere ich im Nachhinein doch.

J: Sie haben an der Uni auch schon Veranstaltungen angeboten. Können Sie sich vorstellen, das auch in Zukunft zu tun? Glauben Sie, daß eine Abstimmung zwischen Praktikern und Professoren überhaupt möglich ist?

Greger: Ich persönlich gebe meine Erfahrungen sehr gerne weiter, es hat mir viel Spaß gemacht. Die Meinung der Professoren dazu kenne ich nicht. Die Erfahrung zeigt, daß sich der Einsatz von Praktikern in der universitären Ausbildung als gut und wichtig erwiesen hat. So sind Vorlesungen z. B. von Herrn Meindl, Maihold oder Heintschel-Heinegg eine gute Ergänzung der Ausbildung. Wichtig ist, daß die Studenten einen Vorteil aus dem zusätzlichen Angebot ziehen. Die "Nähe" zum Examen ist sicherlich auch vorteilhaft, was für eine verstärkte Einbindung von jüngeren Juristen spricht.

J: Was halten Sie davon, daß anwaltsspezifische Fächer und Veranstaltungen angeboten werden, wie z.B. anwaltliches Be-rufsrecht, Gebührenordnungsrecht? Halten Sie es für sinnvoll für die Studenten und würden Sie ihnen zum Besuch der Veranstaltungen raten, obwohl es nicht examensrelevant ist und bis zur tatsächlichen Anwendung noch Zeit vergeht?

Greger: Soweit ich informiert bin, bietet die Universität Regensburg zur Zeit tatsächlich anwaltliches Berufsrecht an. An sich stufe ich das als sehr positiv ein, ich weiß aber auch, daß man als Student meist pragmatisch denkt und die Veranstaltungen nach Examensrelevanz auswählt. Soweit also die Resonanz adäquat ist, würde ich durchaus hoffen, daß es weiter aufrechterhalten wird.

J: Die Erfahrung zeigt, daß es anscheinend sehr schwierig ist, ein tatsächlich ergiebiges Praktikum zu finden. Die Verhältnisse in der Praxis sind häufig so, daß die Hilfe der Anwälte sich darauf beschränkt, den Bestätigungsschein auszustellen. Sicherlich liegt das oft an der Terminfülle und Überlastung in den Kanzleien. Für wie sinnvoll halten Sie unter diesem Aspekt die drei Monate Praktikum vor dem ersten Examen?

Greger: Sicher, ich kenne die Praxis, allerdings wird oft auch genau das gewünscht. Findet man aber einen Rechtsanwalt, der einen tatsächlich ausbildet, also in Verhandlungen etc. mitnimmt, halte ich es für eine lohnende Möglichkeit. Bei vielen Kollegen fehlt allerdings die Bereitschaft dazu. Ich verbrachte während meines Studiums ein Praktikum bei einem Rechtsanwalt, was mir sehr gefiel. Man sollte mit dem Anwalt im Vorfeld klären, wie man sich das Praktikum vorstellt und welche Wünsche man hat.

J: Eine Frage, die sich den Referendaren stellt, ist, ob man die Wahlstation im Ausland verbringen bzw. einen ganz neuen Bereich kennenlernen sollte, wie eine Tätigkeit in einem Wirtschaftsunternehmen o.ä. Demgegenüber steht die Möglichkeit, in einer hiesigen Kanzlei Beziehungen für den Berufseinstieg zu knüpfen. Wozu würden Sie raten?

Greger: Viele versuchen, sich in der Wahlstation zu profilieren und später übernommen zu werden. Das hat bestimmt seine Vorteile. Auch ein Auslandsaufenthalt ist zu befürworten. Weiß man dagegen schon, daß man als Anwalt tätig werden will, ist eventuell der erstgenannte Weg sinnvoller. Es handelt sich um eine Frage der Präferenzen. Die Bandbreite der möglichen Tätigkeitsbereiche ist enorm, eine besondere Chance der juristischen Ausbildung. Damit sind auch die Berufschancen meiner Erfahrung nach absolut nicht so schlecht wie allgemein behauptet. Auch die Bedeutung der Examensnoten halte ich für überbewertet. Solide fachliche Arbeit und soziale Kompetenz würde ich als die zwei Säulen des beruflichen Erfolgs qualifizieren. Das Persönliche spielt z. B. eine große Rolle im Mandantenverkehr. Man kann die Punkte im Examen sicher nicht außer acht lassen, aber auch die zweite Säule ist unverzichtbar.

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letzte Aktualisierung: 23. August 1999