Jurassic SS 1999

WIND OF CHANGE

Die Reformfreude der Politiker weht uns schon seit Jahren an fast jeder Ecke des Landes entgegen. Während uns häufig die eine Seite der Medaille funkelnd die Vorteile des geplanten Wandels präsentiert, befinden sich versteckt auf der Rückseite die Tücken der Neuerung. Allzu oft können diese mit dem Begriff „Geldmangel" zusammengefaßt werden.

Keine Ausnahme bildet hierbei wohl die Reform der Juristenausbildung. Dabei wäre der Ansatz seitens der Justizministerkonferenz (Jumiko) für eine Veränderung in diesem Bereich gar nicht schlecht gewesen.

Mal sehen, was die Experten dazu meinen

Auf ihrer Frühjahrskonferenz 1996 hatte sie beschlossen, angesichts veränderter Rahmenbedingungen und der schwierigen finanziellen Situation in vielen Bundesländern das System der einheitlichen Ausbildung aller Rechtsreferendare im staatlichen Vorbereitungsdienst überprüfen zu lassen. Sie hat deshalb eine Gruppe von Experten aus den Justiz- und Innenministerien damit beauftragt, einen Koordinierungsausschuß zu bilden, um die Situation der Referendarausbildung darzustellen, die Möglichkeiten kurzfristiger Maßnahmen zur Entlastung der Justiz zu prüfen sowie denkbare Alternativen zum derzeitigen Vorbereitungsdienst zu erarbeiten. Bei dessen Zwischenbericht im Juni 1997 wurde deutlich, daß eine Diskussion über das Rechtsreferendariat nicht gründlich geführt werden kann, wenn nicht auch eine Umgestaltung des Hochschulstudiums in die Überlegungen miteinbezogen wird. Nach Anhörungen mit Vertretern des Fakultätentages, der Anwaltschaft, der Berufsverbände, der Wirtschaft und auch der Rechtsreferendare und der Studenten (Bundesfachverband Jura e.V., kurz: BFVJ und Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen, kurz: BAKJ) hat der Koordinierungsausschluß im Juni letzten Jahres schließlich seinen mit Spannung erwarteten Abschlußbericht vorgelegt.

Wer mal was zu lesen möchte – der Abschlußbericht

Mit satten 450 Seiten und einem Gewicht von rund drei Pfund ist der zweibändige Bericht nur bedingt als abendliche Bettlektüre geeignet. (Trotzdem seid Ihr gerne eingeladen, das Werk in der Fachschaft mal durchzustöbern oder es Euch zu kopieren ...) Inhaltlich beschäftigt sich der Bericht zunächst mit einer Bestandsaufnahme des derzeitigen Systems der Juristenausbildung und geht dabei insbesondere auf dessen normative und faktische Defizite ein. Anschließend werden die in der Diskussion befindlichen Grundmodelle der Juristenausbildung in Studium und Referendariat(nur Studium, Assessoren-, V- und Y-Modell, Einheitsausbildung mit und ohne Spartenbezug bzw. verkürzt, einstufige Ausbildung) einzeln und detailliert unter die Lupe genommen, wobei besonders die finanziellen Aspekte berücksichtigt werden. Was der Bericht allerdings nicht enthält, ist eine abschließende Empfehlung, welches dieser Modelle denn nun am brauchbarsten wirkt. Das liegt daran, daß die Justiz- und Innenministerien im Ausschuß – wie so oft – keine Einigkeit darüber erzielen konnten. Für zwei Modelle, nämlich das Y- und das einstufige Konzept, fand sich dort sogar überhaupt kein Land, das sich für dessen Einführung aussprechen wollte.

Die Jumiko – immer für eine Überraschung gut

Die Jumiko hat auf diesen Bericht im Herbst 1998 mit einer eine DinA4-Seite umfassenden Stellungnahme reagiert und erst einmal festgestellt, daß sie den Bericht zur Kenntnis genommen hat und die Gespräche der Ar-beitsgruppe mit den Beteiligten fortgesetzt werden sollen. Neben solchen wenig gehaltvollen Ergebnissen der Jumiko hat wohl die meisten, die sich mit dem Thema beschäftigen, überrascht, daß sich eine Mehrheit für eine Kehrtwende zurück zur einstufigen Juristenausbildung ausgesprochen hat. Dieses Modell, das bereits aufgrund einer 1971 eingeführten „Experimentierklausel" des § 5 b DRiG a.F. in sieben Ländern erprobt worden war, hatte damals zwar enorme Vorteile (wenige Studierende, Kleingruppenarbeit). Gerade eine drastische Verschlechterung der Haushaltslage und die stetige Zunahme der Studentenzahlen hin zu einer Massenausbildung führten aber 1984 zum Ende der Experimentierphase dieser Ausbildungsform. Was angesichts dieser veränderten Rahmenbedingungen folglich jedem Normalsterblichen als Konsequenz ins Auge stechen müßte, ist die Undurchführbarkeit dieses Ausbildungsmodells jedenfalls in den kommenden Jahren.
Nicht so die Justizminister: Wie der Verfechter dieses einphasigen Konzepts, der damalige Justizminister Nordrhein-Westfalens Herr Behrens, verlieren sie aber kein Wort über dessen Finanzierung, sondern sehen durch den Wegfall des Referendariats offensichtlich stillschweigend die eingesparten Referendarsgehälter als ausreichende Geldquelle an. Daß diese Einsparungen den Mehraufwand für das auf Kleingruppenarbeit angewiesene Ausbildungsmodell decken, ist genauso fraglich wie die Tatsache, daß eingesparte Mittel überhaupt Verbesserung des juristischen Studiums dienen. Es ist daher absehbar, daß zumindest mittelfristig einer permanenten Mittelkürzung im Jura-Studium Tür und Tor geöffnet werden und die Vorteile des schönen theoretischen Modells eines einphasigen Studiums wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Der Beschluß der Minister (6:4:3; u.a. Bayern war dagegen) erscheint daher wenig ausgereift und ist dem Bedürfnis der Jura-Studenten nach einer finanziell abgesicherten Ausbildung wenig zuträglich. Wohl deshalb hat sich sowohl kein einziges Land im Koordinierungsausschuß für dieses Modell ausgesprochen noch traf es auf dem Deutschen Juristentag auf Zustimmung.

Und wie ist der aktuelle Stand?

Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von fünf Ländern hat sich nun mit dem einstufigen Modell näher beschäftigt und es mit den betroffenen Verbänden diskutiert. In dieser Phase hat sich auch der Bundesfachverband Jura weiterhin am Meinungsbildungsprozeß beteiligt und versucht, die Problematik des Beschlusses ins Bewußtsein der Verantwortlichen zu rücken.

Der Beschluß, wie er sich nach der Frühjahrskonferenz der Jumiko im Juni 1999 darstellt, geht von folgender sog. „praxisintegrierter universitärer Juristenausbildung" aus:

· Das Studium besteht aus einem vierse-mestrigen Grundstudium, in dem Stoff vorrangig in Kleingruppen und nur hilfsweise in Vorlesungen vermittelt wird; in diesem Grundstudium soll in etwas das Niveau der großen Scheine erreicht wer-den, wobei eine Zwischenprüfung im Credit-Point-System diese Phase begleiten soll. Während der vorlesungsfreien Zeit finden zudem Ferienpraktika statt. · An das Grundstudium schließt sich ein zweisemestriges allgemeines Vertiefungsstudium an, das mit Kleingruppen und Vorlesungen -begleitet von einer Ausbildung in Praxisgruppen- ausgestaltet ist. · Darauf folgt eine einjährige, auch die Semesterferien umfassenden Praxisphase, die staatlich möglichst wenig reglementiert werden soll. Vielmehr müssen sich die Studierenden eigenverantwortlich einen Praktikumsplatz suchen und dieses Jahr selbständig planen, können hierbei lediglich auf ein bereitgestelltes „Notfallnetz" zurückgreifen. · Im 9. und 10. Semester schließt sich neben einem Vertiefungsstudium auch das Wahlfachstudium an. · Anschließend folgt ein gemischt staatlich-universitäres Examen, das einen Abschluß für den „Einheitsjuristen" darstellen soll. · Nach der Ausbildung ist noch eine praktische Berufseinarbeitungsphase vorgesehen, die im Justiz- und Verwaltungsdienst während einer Probezeit erfolgt und im Bereich der Anwaltschaft neben Fortbil-dungskursen zwingend eine ein- bis drei-jährige Tätigkeit bei einem zugelassenen Anwalt erfordert. Deren genaue Ausge-staltung obliegt der Rechtsanwaltschaft.

Im Rahmen dieses Artikels ginge es wohl zu weit, diesen Beschluß aufs Genaueste zu „zerlegen". Aufgreifen möchte ich daher - ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen - lediglich die Aspekte, die aus Sicht des Bundesfachverbands Jura e.V. als die problematischsten angesehen werden.

An die Arbeit - die Praxisphase Grundsätzlich halten wir eine Integration der Praxisphase in die Ausbildung an der Universität für sinnvoll und wichtig. Entscheidend hierbei ist jedoch, daß sie nicht zu früh erfolgt und durch entsprechende Kurse im Studium vorbereitet wird, um die Arbeit des Studierenden in der Praxis nutzbringend einzusetzen.

Uneinig ist man sich weiterhin, in welchem Umfang für diese Praxisphase Regelungen getroffen werden sollen (Freiheit für motivierte, eigenverantwortliche Studenten oder Urlaubssemester für den Rest?). Meiner Meinung nach muß sich die Ausgestaltung dieses Jahres am jetzigen Referendariat orientieren und gewisse Mindestanforderungen (mindestens drei verschiedene Stationen o.ä.) festsetzen. Andernfalls wäre die Gefahr, daß Studierende sich aus einem kurzfristigen Denken heraus für den einfachsten Weg entscheiden (die Bescheinigung von Papas Bekanntem...), zu groß und mithin ähnlich ineffektiv wie derzeit häufig die Ferienpraktika.

Der unfertige Volljurist? - Berufseinarbeitungsphase Ein weiterer wunder Punkt des angestrebten Modells liegt in der vorgesehenen obligatori-schen Berufseinarbeitungsphase, die nach Ansicht aller studentischen Gruppierungen abgelehnt werden muß. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß keine Notwendigkeit zur Einarbeitung in ein bestimmtes Berufsfeld erforderlich wäre. Berufsanfängern jedoch eine institutionalisierte Verpflichtung aufzuerlegen, den „freien" Beruf des Anwalts erst nach einer gewissen Berufserfahrung als Selbständige/r ausüben zu dürfen, birgt die Gefahr, daß die Anwaltschaft den Zugang zu ihrem Beruf beliebig regeln kann - und dies zweifellos auch tun wird! Kurz: Die Anwaltschaft darf meines Erachtens nicht die Möglichkeit erhalten, den juristischen, gut ausgebildeten Nachwuchs und damit ihre eigene Konkurrenz bereits im Vorfeld zu dezimieren. Zumindest theoretisch muß jedem Juristen die Chance erhalten bleiben, nach dem Examen sein Rechtsanwaltsschild an die Tür zu hängen.

Mehr Profs und weniger Studenten - die Betreuungsrelation

Dreh- und Angelpunkt der geplanten neuen Einstufigkeit sind Lehrveranstaltungen in der Form von Kleingruppen. Dem Wunsch der Justizministerkonferenz nach solchen, bis zu 30 Studierende umfassende Gruppen, in denen durch mehr Interaktion zwischen dem Dozenten und den Zuhörern ein deutlich besseres Lernergebnis erzielt werden soll, ist in jedem Fall zuzustimmen. Dieses Konzept wäre aber wohl zu schön, um wahr zu sein, gäbe es da nicht erhebliche Zweifel an der politischen und finanziellen Umsetzbarkeit eines solchen Entwurfs.

So springt jedem Laien ins Auge, daß ein zahlenmäßig besseres Betreuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden eine Reduzierung der Studentenzahlen oder eine Ausdehnung der Kapazitäten an den Fakultäten voraussetzt. So könnte man mit der derzeitigen Zahl an Dozenten nach Berechnungen der Minister nur mehr 50% der jetzigen Studienplätze anbieten. Eine derart drastische Absenkung ist jedoch weder erstrebenswert noch geplant. Nach Auskünften, die wir bei der Anhörung erhalten haben, seien die Länder übereingekommen, aus den Ersparnissen der Referendarvergütung in neue Stellen zu investieren. Allerdings ist diese Entscheidung letztendlich von jedem Land einzeln zu treffen, so daß angesichts leerer Staatskassen befürchtet werden muß, daß die eingesparten Gelder auf dem Weg zurück in die juristische Ausbildung anderweitig versickern.

Skeptisch darf man in einem weiteren Punkt sein. Schließlich ist es eine Milchmädchenrechnung, daß bei einer Verringerung der Studienplätze im Fach Jura die Zahl der Studierenden in den anderen und - gerade im naturwissenschaftlichen Bereich - größtenteils kostenintensiveren Fächern automatisch steigen muß. Diese Methode der Kostenabwälzung auf andere Staatstöpfe war sicherlich ein geschickter Zug der Justizminister. Man darf also gespannt sein, ob die Wissenschafsminister von dem Modell tatsächlich so angetan sind, wie bei den Planern des angedachten Modells behauptet.

Die Kernfragen der Diskussion? - Inhalte des Studiums

Wenn man sich den Beschluß der Justizminister genauer ansieht, stellt man schnell fest, daß darin im Grunde nur organisatorische Regelungen getroffen werden. Ob das Studium stoffentfrachtet wird oder welche Aspekte im Studienplan hinzugefügt werden sollen, ist noch in keiner Weise ersichtlich. Dieser Mangel ist - so traurig das auch sein mag - nicht weiter verwunderlich, da sich die Arbeitsgruppe hierüber bis jetzt noch kaum Gedanken gemacht hat. Dies soll sich bis zur Herbstkonferenz noch ändern. Diese inhaltliche Ausgestaltung wird sich in erster Linie am sog. „Ladenburger Manifest" orientieren. Dieses sehr idealistische, von den Grundgedanken jedoch sehr treffende Konzept, ausgearbeitet hauptsächlich von Juraprofessoren, stimmt in wesentlichen Punkten mit den Forderungen des BFVJ überein, so daß wir als Studenten gespannt sein dürfen, wie der genaue Studienplan schließlich aussehen soll.

Wenn’s drauf ankommt - die Entscheidung im Herbst

Ob sich an der Juristenausbildung nach endlosen Diskussionen aller beteiligten Juristen und „Bald-Juristen" nun grundlegend etwas ändert, wird sich in Kürze zeigen: Auf der Justizministerkonferenz soll nämlich im November die endgültige Entscheidung darüber fallen, ob das geplante Modell tatsächlich verwirklicht wird. Obwohl der BFVJ darin noch in vielen Punkten noch Klärungsbedarf und einige Schwachstellen sieht, können wir uns die Umsetzung dieses Modells vorstellen, sofern den von uns gestellten (hier nur teilweise aufgeführten Anforderungen) Rechnung getragen wird. Bis zur Entscheidung und auch danach wird sich der BFVJ weiterhin im Namen der Studierenden an der Diskussion über die Ausgestaltung der praxisintegrierten universitären Juristenausbildung beteiligen.

Wer nun noch weitergehende Fragen oder Anregungen oder einfach Interesse an diesem Thema hat, der ist herzlich eingeladen, unverbindlich bei uns in der Fachschaft vorbeizukommen.

pw


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letzte Aktualisierung: 23. August 1999