Liebe Leserin, lieber Leser,

Juli 1997. Die Ereignisse überschlagen sich: Hongkong wird Teil der Volksrepublik China, Pathfinder landet auf dem Mars, der Bayerische Verfassungsgerichtshof feiert seinen 50. Geburtstag und in Jurassic erscheinen nun

Wullenwevers Widerworte

schon zum zweiten mal - unzensiert. Wie ich mitbekommen habe, erging es da im vorigen Semester einigen unserer Hochschullehrer schlechter. Sie sollen sich einem Mehrheitsbeschluß des Professoriums gebeugt und ihre bereits erteilte Zustimmung zur Veröffentlichung ihrer Evaluationsergebnisse widerrufen haben. Dabei waren die doch gar nicht so schlecht. Ob das wohl an den kleinen, aber umso treueren Fangemeinden liegt? Naja, mit BH's und Stofftierchen werden unsere Dozenten zum Glück dann doch eher selten beworfen.1 Nicht mal unser "Mister Fakultät" der letzten Ausgabe, der übrigens nur durch einen massiven Wahlbetrug den Sieg davongetragen hat - aber nicht weitersagen!

Offensichtlich helfen manch einem aber nicht einmal mehr die Fans zu einem guten Ergebnis, vor allem in den Übungen. Ob das daran liegen mag, daß sich dort bis zur Rückgabe der ersten Klausur niemand vertreiben läßt?

Zukünftig müssen sich die Professoren wegen der Veröffentlichung jedenfalls keine Gedanken mehr machen. Nach dem Probelauf im Wintersemester publiziert die Fachschaft jetzt einfach alle Ergebnisse. Mal abgesehen von dem eines altgedienten Strafrechtlers, der demnächst seine Lehrtätigkeit nun auch offiziell einstellt. Für sein revolutionäres Konzept, die Professoren sollten die Studenten evaluieren, konnte sich die Fachschaft leider nicht erwärmen. Dabei hätte es mich ja schon interessiert, wie die Teilnehmer an seiner Fortgeschrittenenübung im Strafrecht abgeschnitten hätten. Ob er sie genauso in die Pfanne gehauen hätte wie mit seinen Klausuren?

Das Berufungsverfahren für den freiwerdenden Lehrstuhl läuft mittlerweile auf Hochtouren. Wie aus dem Professorium verlautet, sind die Auswahlkriterien neben der Appetitlichkeit des Bewerbers auch dessen wissenschaftliche und pädagogische Qualifikation.

Im Gegensatz zu früher bewegt sich das Verfahren aber nun nicht mehr am Rande der Legalität. Dies ist in erster Linie der verantwortungsvollen Amtsführung unseres neuen Dekans zu verdanken, der mit einigen Mißständen an unserer Fakultät aufgeräumt hat. Geht ja auch schneller, wenn man die Studenten nicht ständig nach ihrer Meinung fragen muß. Das kann man schließlich immer noch tun, wenn die Entscheidung schon gefallen ist. So sieht das ja auch unser Hochschulgesetz vor. Und außerdem können die Profs das alles sowieso viel besser beurteilen; die haben nämlich Einblick in die Bewerbungsunterlagen.

Ich habe das Gefühl, bei unserem Dekan ist alles in besten Händen. Er konzentriert sich auf das Wesentliche und erledigt seinen Dienst nach Vorschrift. Neulich hatte ich sogar die Gelegenheit, ein halbes Stündchen mit ihm zu plaudern oder besser gesagt: ihm beim Plaudern zuzuhören. Eine Ausgabe der Examenskurs-Klausuren über das gesamte Wochenende sowie eine anständige Korrektur derselben wollte er mir zwar nicht versprechen; es tat aber gut zu hören, daß letzteres zu seiner Studienzeit auch nicht anders war. Um den tieferen Sinn einer Schlangenlinie zu ergründen, müsse man eben in die Bibliothek gehen und würde dann schon rausfinden, was sie bedeutet. Im übrigen wisse er als Arbeitsrechtler, daß man keinen Druck auf die Korrekturkräfte und Lehrbeauftragten ausüben dürfe, da sie sonst in innere Kündigung verfielen und nur noch die Hälfte leisteten. Können eigentlich auch Professoren innerlich kündigen?

Ich finde, unser Dekan hat recht, wenn er sagt, daß die Studenten eine nicht mehr zu erfüllende Erwartungshaltung an den Tag legen. Eigentlich genügt es doch, wenn die Note unter der Klausur oder Hausarbeit steht. In der Besprechung merkt man dann schon, was falsch ist.

Noch ein Verdienst des Dekans: Da hat doch die Fachschaft im vorigen Semester diese Konversatorien organisiert, aus Sondermitteln des Kultusministeriums. Das Geld wird von nun an sinnvoller investiert, nämlich von der Fakultät selbst. Jedes Rechtsgebiet bekommt ein Drittel. Jetzt kann man soviel Strafrecht machen wie noch nie! Allerdings ist mir aufgefallen, daß die Konversatorien nicht mit dem Inhalt der Anfängervorlesung übereinstimmen. Da werden immer bloß Fälle gemacht, obwohl es in der Vorlesung doch um Kreittmayr2 und so geht. Vielleicht ändert sich das ja jetzt, wenn die Profs bestimmen können, was in den Arbeitsgemeinschaften gelehrt werden darf. So will es zumindest der Dozent der fraglichen Veranstaltung.

Ich bestimme auch in Zukunft selber, was ich schreibe.

Herzlichst Euer

Josef Wullenwever

1 Fußnote für Über-30-Jährige: Diese Gegenstände werden von der überwiegend minderjährigen weiblichen Anhängerschaft sogenannter „Boygroups" bei Konzerten auf die Bühne geworfen, um so ihrer Verehrung für die Künstler Ausdruck zu verleihen.

2 Gemeint ist nicht Franz-Ludwig Kreittmayr, wohnhaft in der Bajuwarenstraße 24b (2. Stock), sondern Freiherr Aloys von Kreittmayr (1704 - 1790), Redakteur des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis und des Codex Iuris Criminalis Bavarici.


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letzte Aktualisierung: 7. August 1997