Jurassic WS 1998/99

INTERVIEW


Dieter Maihold, RiOLG zur Referendarausbildung

Jurassic: Herr Maihold, Sie sind in der Referendarausbildung in Regensburg tätig und daher zunächst eine Frage zur aktuellen Lage. Ab April diesen Jahres wird es niedrigere Bezüge für Referendare geben. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar?
Maihold: Diese Kürzungen reflektieren letztlich ein zentrales Problem im öffentlichen Dienst: Die Haushaltsmittel sind überall knapp, so daß an allen Ecken und Enden gespart wird. Man muß dabei aber auch sehen, daß die Besoldung für die Referendare im Vergleich zu anderen, etwa dem Arzt im Praktikum, nicht so gering ausfällt. Insofern kann man aus finanzpolitischer Sicht wohl sagen, daß die Kürzungen nicht übermäßig einschneidend ausgefallen sind, obwohl natürlich im Einzelfall durchaus persönliche Härten auftreten können.
Jurassic: Aber die Kosten für den Einzelnen werden tendenziell eher steigen, da das Landesjustizprüfungsamt auf seiner Homepage bereits ankündigt, daß Referendare demnächst weniger ortsnah eingesetzt werden und dementsprechend z.B. mit höheren Fahrtkosten rechnen müssen.
Maihold: Dahinter steckt neben den steigenden Referendarzahlen vor allem eine Besonderheit: Bayern ist wohl das einzige Bundesland, in dem es für Referendare keine Wartezeit gibt. Das führt zu einem erheblichen Zulauf von Bewerbern aus anderen Bundesländern. Da Bayern keinen „Landeskinderbonus" einführen kann, ist es zwangsläufig zu einer Verteilung der Referendare auf die Fläche gezwungen. Soweit es irgendwie geht, wird aber in Regensburg auf solche Ortswünsche Rücksicht genommen, wenn dies innerhalb der Kapazitätsgrenzen möglich ist, die durch die Anzahl der Ausbildungsplätze an Gerichten und Behörden vorgegeben sind.
Jurassic: Welche Kriterien werden denn der Verteilung zugrunde gelegt?
Maihold: Es geht primär um eine eventuelle Bindung zum Ort, wie z.B. weitere berufliche Verpflichtungen, Lehrstuhltätigkeit etc. Wer aus Cham kommt und dort bei den Eltern zumindest zeitweise unterkommen kann, wird auch bevorzugt dort eingesetzt. Wer allerdings sein Erstes Staatsexamen außerhalb Bayerns abgelegt hat, muß damit rechnen, daß er keine örtlichen Präferenzen geltend machen kann. Das Problem ist in all diesen Fällen freilich, daß oft Ausbildungs- und Unterrichtsort auseinanderfallen. Nicht jedes Gericht hat gleichzeitig Referendararbeitsgemeinschaften. Nach etwa einem dreiviertel Jahr, wenn die Verwaltungsstation beginnt, kann sich das alles noch einmal ändern, weil dann natürlich nach den örtlichen Möglichkeiten der Verwaltung verteilt wird.
Jurassic: Könnten Sie vielleicht einmal für die Studienanfänger beschreiben, wie man sich so eine Referendarausbildung vorzustellen hat?
Maihold: Das Referendariat setzt sich zusammen aus zwei Teilen, die während der ganzen Zeit parallel laufen: Einmal dem Unterricht, in der Regel an zwei Vormittagen in der Woche; und der daneben ablaufenden, praktischen Ausbildung, der sog. Stationsausbildung, beim Rechtsanwalt, Richter oder Staatsanwalt. Die ersten neun Monate ist die Ausbildung sowohl praktisch als auch theoretisch justizorientiert. Es gibt inzwischen allerdings die Neuerung, daß man statt dessen auch bei einem Rechtsanwalt einsteigen kann. Nach diesen neun Monaten kommt zur Justiz die Verwaltung dazu, dann werden sozusagen die Unterrichtseinheiten geteilt, einen Vormittag Justiz, einen Vormittag Verwaltung, während die praktische Arbeit nurmehr in der Verwaltung stattfindet.
Jurassic: Wie genau gestaltet sich die Möglichkeit, den Schwerpunkt der Ausbildung mehr auf die Tätigkeit beim Rechtsanwalt zu legen?
Maihold: Normaler Weise beginnt die praktische Ausbildung mit 6 Monaten bei einem Zivilgericht. Hier kann man nun stattdessen auch sechs Monate beim Rechtsanwalt tätig sein. Zum Ausgleich werden dann die letzten vier Monate vor dem schriftlichen Examen beim Zivilgericht und nicht beim Rechtsanwalt abgeleistet. Damit läßt sich die Ausbildung schon im Einstieg stärker an die Anforderungen des – für die meisten sowieso angestrebten – Beruf des Rechtsanwalts anpassen. Zur Zeit nehmen aber nur sehr wenige der Referendare diese Möglichkeit wahr. Es ist allerdings zu beachten, daß man sich schon vor Beginn der Ausbildung für diesen Weg entscheiden muß und ggf. auch eine entsprechende Stelle finden muß. Es ist aber auch - wie bisher schon - möglich, während der Station beim Zivilrichter, bei der Verwaltung und nach dem schriftlichen Examen im sog. Pflichtwahlpraktikum insgesamt mehr als die Hälfte der Ausbildungszeit beim Anwalt zu verbringen. Leider haben auch diese Wahlmöglichkeiten bisher nur ca. 15 % der Referendare konsequent genutzt.
Jurassic: Was genau machen die Referendare dann in der Praxis?
Maihold: Möglichst genau das, was der jeweilige ausbildende Referatsinhaber tut. D.h. im Idealfall schreiben sie für den Anwalt Schriftsätze, für den Richter Urteile, und leiten auch einmal eine Verhandlung, aller-dings innerhalb gewisser gesetzlicher Grenzen. Beispielsweise kann ein Referendar eine Beweisaufnah-me durchführen, falls der Richter das für angemessen hält. Vereidigen könnte ein Referendar die Zeugen allerdings nicht. Bei der Staatsanwaltschaft gehen die Möglichkeiten sogar noch weiter: Dort werden Referendare auch als voll verantwortliche Sitzungsvertreter eingesetzt. Der Staatsanwalt wird die ersten zwei bis drei Verhandlungstage mitgehen, und dann, je nach seinem Vertrauen in den Referendar, zwar noch erreichbar sein, aber dem Referendar ansonsten freie Hand lassen.
Jurassic: Wie sehen Sie denn die Zukunft des Referendariats angesichts z.B. der finanziellen Schwierigkeiten?
Maihold: Die Reformdiskussion läuft ja nun schon ewig, schon zu meiner Studienzeit wurde sie heftig betrieben. Damals gab es etwa das „Augsburger Modell" einer einstufigen Juristenausbildung. Diese Einstufigkeit wird ja auch in den Tendenzbeschlüssen der Justizministerkonferenz vom letzten Jahr wieder angedacht. Dabei wird dann der praktische Teil weitgehend auf ein verlängertes Praktikum reduziert. Ich glaube, daß die bayerische Staatsregierung sich zurecht gegen diesen Beschluß ausgesprochen hat, denn ich befürchte, daß im Rahmen einer rein universitären Ausbildung der praktische Teil zu kurz kommen wird. Meiner Meinung nach bereitet aber gerade der praktische Teil auf die spätere Tätigkeit des Juristen in weiten Bereichen vor.
Jurassic: Da klingt ja eine gewisse Kritik an der universitären Ausbildung durch. Inwieweit sind Sie denn mit dem Ausbildungsstand der Studenten, die bei Ihnen das Referendariat beginnen, zufrieden?
Maihold: Bei einem großen Teil der Referendare ist das für uns völlig unproblematisch. Probleme haben wir in der Ausbildung immer dann, wenn massive Lücken in Bereichen auftreten, die eigentlich Prüfungsstoff des ersten Examens sind und Voraussetzungen der Referendarausbildung betreffen. Wir haben sowieso große Mühe, den für das zweite Examen hinzukommenden Stoff in der kurzen Ausbildungszeit unterzubringen. Gefährlich sind beispielsweise Lücken im materiellen Erbrecht, wenn später das Erbscheinsverfahren vermittelt werden soll, oder weitgehende Unkenntnis im materiellen Familienrecht, wenn das familienrechtlichen Verfahren unterrichtet wird. Sehr ungünstig ist schließlich fehlendes Grundwissen im Prozeßrecht allgemein. Solche Lücken können im Referendarunterricht kaum mehr geschlossen werden – da müssen wir teilweise auf einem sehr unsicheren Fundament aufbauen.
Jurassic: Sie wirken ja auch an mündlichen Prüfungen mit. Gibt es da irgendwelche Unterschiede im Prüfungsverhalten zwischen Professoren und Richtern?
Maihold: Ich glaube, der Richter könnte aus seiner beruflichen Sicht naturgemäß mehr die praktische Umsetzung im Blickfeld haben, die praktische Relevanz eines Problems, nicht unbedingt die letzte theoretische Verzweigung. Letztlich gilt wohl für beide Gruppen von Prüfern, daß Grundwissen und seine Anwendung auch auf unbekannte Sachverhalte im Vordergrund stehen. Außerdem sind natürlich auch die rednerischen Fähigkeiten der Kandidaten wichtig. Für den Studenten besteht aber wohl der größte Unterschied darin, daß er den Richter anders als den Professor nicht schon aus der Vorlesung kennt. Für mich ist entscheidend, daß der Student einen „Kompaß in Grundfragen" besitzt, Detailwissen wird nicht abgefragt. Ich lege allerdings auch Wert auf Grundkenntnisse des Prozeßrechts.
Jurassic: Woran liegen Ihrer Meinung nach die enormen Durchfallquoten im Ersten Staatsexamen, trotz Scheinen, Klausuren etc. im Vorfeld?
Maihold: Eine Erklärung könnte sein, daß die ursprünglich sehr hohen Abbrecherzahlen im Jurastudium in den letzten Jahren extrem zurückgegangen sind. Im Jurastudium gibt es zudem anders als in den naturwissenschaftlichen Fächern, keine Zwischenprüfung, die schon einmal im vorhinein filtert. Daher gehen mittlerweile viele ins Erste Staatsexamen, die vielleicht früher zu Recht erkannt haben, daß Jura nicht das ideale Studium für sie ist. Insofern halte ich die geplante Zwischenprüfung grundsätzlich für eine sinnvolle Möglichkeit, die Lebensplanung rechtzeitig zu überprüfen und nicht erst mit Ende 20, Anfang 30 vor den großen Problemen zu stehen. Der Spekulation, daß im Staatsexamen härter bewertet wird, möchte ich aus meiner persönlichen Erfahrung entgegentreten. Im Ge-genteil: Wenn der angehende Mediziner den zu behandelnden Blinddarm nicht findet, hat er die Prüfung wohl nicht bestanden. Bei vergleichbar schweren Fehlern in Grundlagen sind wir oft großzügiger.

js/uk


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letzte Aktualisierung: 23. April 1999