Ein Nordlicht in Bayern:

Interview mit Herrn Prof. Dr. Andreas Hoyer

Jurassic:
Bitte schildern Sie kurz ihren persönlichen Werdegang.

Prof. Hoyer:
Viel ist da nicht zu erzählen. Ich komme aus Schleswig-Holstein, habe dort studiert und, nachdem ich dort Assistent geworden bin, mich auch habilitiert. Dann habe ich für Regensburg einen Lehrauftrag erhalten und hatte das Glück, daß man mich hier auch gleich berufen hat. Es hat mich so also aus dem höchsten Norden bis ganz in den Süden Deutschlands verschlagen.

Jurassic:
Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor? Möchten Sie hierbleiben oder eher wieder in den Norden zurückgehen?

Prof. Hoyer:
Im Grunde bin ich noch gar nicht ganz richtig in Regensburg, ich fahre jede Woche zwischen Kiel und Regensburg hin und her, da meine Frau keine Stellung in Bayern gefunden hat, sondern noch in Kiel beschäftigt ist. Dies ist kein Dauerzustand, wir bemühen uns darum, das Problem in der Weise zu lösen, daß sie auch hier in Bayern arbeiten kann. Wenn das gelingt, wird man mich so leicht nicht mehr von hier wegbekommen. Es gefällt mir sehr gut hier.

Jurassic:
Worüber haben Sie sich habilitiert?

Prof. Hoyer:
Es war ein sehr abstraktes Thema, worunter man sich kaum etwas vorstellen kann: der Titel heißt "Lebendiges und Totes in Armin Kaufmanns Normentheorie". Armin Kaufmann hat selbst ein Buch geschreiben mit dem Titel "Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie", worin er die Feststellungen, die Karl Binding Anfang dieses Jahrhunderts getroffen hatte, auf ihre Haltbarkeit untersuchte. Ich habe dasselbe für Armin Kaufmann gemacht, der der Lehrer meines Lehrers war, also quasi mein akademischer Großvater.

Jurassic:
Wollten Sie schon immer Jurist werden, oder gab es auch andere Vorstellungen über Ihre berufliche Laufbahn?

Prof. Hoyer:
Ich hatte eigentlich immer das Ziel, Professor zu werden. Es kam mir nicht so sehr darauf an, es im juristischen Bereich zu werden, das hat sich mehr zufällig ergeben. Ich hätte mir auch das Studium der Volkswirtschaft, der Philosophie oder der Kunstgeschichte vorstellen können, entschied mich aber letztlich für Jura, da meiner Meinung nach dort am ehesten die Möglichkeit bestand, notfalls auch praktisch tätig zu werden, falls es mit der Professur nicht klappt. Aber es hat ja zum Glück geklappt!

Jurassic:
Was fasziniert Sie so am Beruf des Professors?

Prof. Hoyer:
Der Beruf des Professors setzt sich ja aus Forschung und Lehre zusammen. Ich habe an beidem sehr viel Spaß, sowohl daran, über dogmatischen Konstruktionen zu grübeln, Gedankenspielen nachzuhängen, zu versuchen, etwas Neues zu einem Thema zu sagen, mit dem sich schon viele beschäftigt haben, als auch daran, vor den Studenten zu stehen - je mehr, desto besser, das bringt Leben in die Bude - und den Eindruck zu haben, das, was ich sage, kommt an. Nach einer gelungenen Vorlesung fühle ich mich dann besser als vorher.

Ich tue das eine oder andere nicht nur, weil ich es muß, sondern habe an beiden Bereichen gleichermaßen Spaß. Ich denke, diese Möglichkeit bietet eben nur der Beruf des Professors.


"Ich hatte eigentlich immer das Ziel, Professor zu werden"  


Jurassic:
An welchem Projekt arbeiten Sie zur Zeit?

Prof. Hoyer:
Ich habe gerade ein etwa 300 Seiten starkes, zweibändiges Lehrskript erstellt. Das ist zwar wissenschaftlich etwas weniger anspruchsvoll, kostet aber wegen der didaktischen Aufbereitung viel Zeit. Der erste Band ist gerade erschienen, den zweiten Band werde ich wohl bis Ende des nächsten Semesters fertiggestellt haben. Anschließend hoffe ich, mich dann wieder stärker auf der wissenschaftlichen Ebene beschäftigen zu können.

Jurassic:
Mit welchem Lehrbuch haben Sie selbst angefangen, Strafrecht zu lernen?

Prof. Hoyer:
In Kiel war ja damals Samson der große Strafrechtslehrer. Ich hielt ihn didaktisch für hervorragend und als Lehrer für sehr überzeugend. Er war ausschlaggebend dafür, daß ich mich letztlich für das Strafrecht entschieden habe. Ich las seine Werke und hörte seine Vorlesungen gleichermaßen mit Begeisterung, da er sehr klar dachte, so daß man den Eindruck hatte, das ganze Gehirn würde klarer, so als wenn man Menthol atmete, das ja auch reinigt.

Jurassic:
Die Fachschaft ist gerade dabei , hier in Regensburg eine Evaluation durchzuführen. Was halten Sie davon?

Prof. Hoyer:
Die Fachschaft hat sich auch schon für meine Veranstaltungen angekündigt. Ich begrüße das aus eigenem Interesse sehr, wenn ich dadurch die Möglichkeit erhalte, einigermaßen repräsentativ zu erfahren, was ich insbesondere falsch mache. Wenn ich auch erfahre, was ich richtig mache, um so besser, aber wichtiger ist es ja, zu erfahren, was man falsch macht. Ich hoffe, daß es mir auf diese Weise ermöglicht wird, meine Veranstaltungen zu verbessern, indem ich auf Fehler hingewiesen werde und mich danach richten kann.

Jurassic:
Dann gehören Sie zu den Professoren, denen es sehr wichtig ist, daß auch die Lehre gut funktioniert, daß eben nicht nur der wissenschaftliche Hinterbau da ist, sondern den Studenten auch etwas vermittelt wird?


"Ich bin immer sehr unzufrieden mit mir, wenn ich den Eindruck habe, eine schlechte Veranstaltung gemacht zu haben" 


Prof. Hoyer:
Ich bin immer sehr unzufrieden mit mir, wenn ich den Eindruck habe, eine schlechte Veranstaltung gemacht zu haben. Das kommt vor, und es prägt meine Stimmung für mindestens denselben Tag, meistens die ganze Woche. Ich habe schon den Ehrgeiz, eine "Vorstellung" abzuliefern, mit der ich zumindest selbst zufrieden bin. Das ist nur dann der Fall, wenn ich das Gefühl habe, die Vorlesung ist angekommen. Dabei ist es mir auch wichtig, daß mir gelegentlich ein Witz glückt, das ist anders, als wenn alles immer wegschläft und einen alle nur anglotzen.

Jurassic:
Zur Zeit ist ja die Strafrechtsreform sehr groß in den Medien. Wie sehen sie das angeprangerte Mißverhältnis zwischen den Eigentums- und Vermögensdelikten und den Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit?

Prof. Hoyer:
Diese Reform beinhaltet ja noch sehr viel mehr. Es werden ganz neue Paragraphen aufgenommen, z.B. soll der ärztliche Heileingriff geregelt werden usw. Eigentlich müßte ich die Strafrechtsreform schon deswegen ablehnen, weil verschiedene meiner geliebten Strafrechtsprobleme wegfallen dadurch, daß der Gesetzgeber explizit eine Lösung vorgibt, z. B. wird die Drittzueignung positiv geregelt, bei den Eigentumsdelikten fallen die Probleme mit den berichtigenden Auslegungen weg, die Lagertheorie erübrigt sich, also wird vieles, was man sich mühsam aneignen mußte, in Zukunft ohne Bedeutung sein.

Aber der von Ihnen angesprochene Punkt ist natürlich wichtiger. Ich denke in der Tat, daß es ein Geburtsfehler des StGBs war, daß den Eigentums- und Vermögensdelikten ein zu hoher Stellenwert eingeräumt wurde im Verhältnis zu den Delikten, die Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung betrafen. Das ist zum Teil schon in den letzten Jahren abgebaut worden, die Strafandrohung für Körperverletzung wurde letztmalig 1994 angehoben, aber immer noch sind versuchte einfache Körperverletzung und versuchte Freiheitsberaubung straflos, während versuchte Sachbeschädigung und versuchter Diebstahl, Betrug, und Unterschlagung jeweils strafbar sind. Es ist immer noch ein Ungleichgewicht in den Strafandrohungen vorhanden. Das zeigt auch eine Entscheidung des BGH. Es ging um den Fall, daß mittels einer Waffe der Ehemann bedroht wurde, dann das Zelt weggenommen wurde und die Ehefrau entführt und sexuell mißbraucht wurde. Das Gericht stufte den Diebstahl des Zeltes mit sieben Jahren Freiheitsstrafe ein und bedachte die Entführung der Frau zwecks sexuellen Mißbrauchs mit zwei Jahren, so daß sich also insgesamt neun Jahre ergaben. Das scheint mir nicht einsehbar zu sein. Schwerer Raub ist mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren ausgestattet, Vergewaltigung mit Todesfolge ebenfalls nur mit fünf Jahren, sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge ebenso, schwerer Raub mit Todesfolge hingegen mit zehn Jahren Mindeststrafe oder sogar lebenslang. Das kommt nicht hin, und ich halte es deswegen für dringend reformbedürftig.

Bei der Strafrechtsreform scheint die Tendenz dahin zu gehen, den Strafrahmen weiter zu stecken, also die Mindeststrafe aus den Körperverletzungsdelikten mit der Höchststrafe aus den Eigentumsdelikten zu koppeln und so zu einheitlichen, allerdings sehr weiten Strafrahmen zu kommen.

Jurassic:
Nach Schmidt-Jortzig soll der Entwurf eine Senkung der Mindeststrafe bei schwerem Raub zur Folge haben, was von der CSU als falsches Signal bewertet wird. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Prof. Hoyer:
Es wird ja nur die Mindeststrafe gesenkt, die Höchststrafe bleibt nach wie vor bestehen. Es können also weiterhin fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe für einen schweren Raub verhängt werden. Es wäre dann aber eben auch möglich, weniger als fünf Jahre Freiheitsstrafe für den bewaffneten Raub eines Zeltes auszusprechen, was mir noch zumutbar scheint, da niemand gezwungen wird, eine niedrigere Strafe auszusprechen.

Wenn die Angleichung so aussieht, daß man relativ niedrige Mindeststrafen und relativ hohe Höchststrafen nimmt, kann man wohl dem Einzelfall gerecht werden.

Jurassic:
Ist die Strafrechtsreform nach dem vorliegenden Entwurf ausreichend genug, oder hätten Sie gerne noch einen anderen Paragraphen geändert oder weggelassen?

Prof. Hoyer:
Es sollen verschiedene Straftatbestände tatsächlich wegfallen, auch solche, die man bisher für relativ wichtig hielt, die auch ausbildungsrelevant waren. Vergiftung soll z. B. keine Rolle mehr spielen, der ärztliche Heileingriff soll neu geregelt werden, was ich für sehr sinnvoll halte; auch die Brandstiftungsdelikte sollen neu gefaßt werden. Auch eine Reform des Geldwäschetatbestandes und des Betäubungsmittelrechts wäre sinnvoll.

Das Hauptanliegen der jetzt in der Diskussion befindlichen Strafrechtsreform liegt aber wohl darin, die Strafrahmen auszutarieren.

Vor allem das Umweltstrafrecht, das mir immer sehr am Herzen liegt, strotzt nur so vor unwirksamen Strafvorschriften, obwohl es gerade in dem Bereich wichtig wäre, ein wirksames Strafrecht herzustellen.

Jurassic:
Sehen Sie jetzt eine größere Chance für die Durchsetzung der Strafrechtsreform als in den siebziger Jahren, wo sie am Widerstand der CDU gescheitert war?

Prof. Hoyer:
Ich weiß nicht, wie groß die Chancen jetzt sind. Nach den angesprochenen Diskussionen scheinen die Chancen auch diesmal nicht allzu gut zu sein; bisher handelt es sich ja lediglich um einen internen Entwurf des Justizministeriums, bei dem es schon unsicher ist, daß er vom Kabinett abgesegnet wird. Noch viel unsicherer ist, daß er dann im Bundestag eine Mehrheit findet, von daher mag es durchaus sein, daß wir uns jetzt mit einem Entwurf beschäftigen, der niemals Gesetz wird, zumindest wird es noch lange Zeit dauern.

Jurassic:
Durch die große Aufmachung in den Medien hat man jetzt den Eindruck, die Reform stünde kurz bevor.

Prof. Hoyer:
Dem ist bestimmt nicht so, ich glaube, Sie werden bis zum Ende Ihrer Ausbildung noch nach dem jetzigen Strafrecht unterrichtet werden.

Jurassic:
Aufgrund der in den letzten Monaten geschehenen grausamen Sexualstraftaten an Kindern fordert die Bevölkerung eine Verschärfung der diesbezgl. Strafvorschriften. Stimmen Sie dem zu oder halten Sie den gegenwärtigen Strafrahmen für ausreichend?

Prof. Hoyer:
Was den Bereich der Sexualdelikte angeht, sieht der Reformentwurf in der Tat eine Anhebung der Strafrahmen vor; das scheint mir auch gerechtfertigt zu sein. Ich glaube nicht so sehr, daß man damit die Probleme besser in den Griff bekommt. Ich denke, daß die Entscheidung eines Straftäters, etwa ein Sexualdelikt zu begehen, wahrscheinlich nicht davon abhängt, ob die Mindeststrafe bei drei oder bei fünf Jahren liegt. Es handelt sich insoweit wohl eher um ein Stück symbolische Gesetzgebung, aber auch das ist wichtig, um das Wertebewußtsein der Bevölkerung zu prägen und die Dimensionen zwischen den Rechtsgütern klarzumachen.

Jurassic:
Man sollte also mehr Wert auf Resozialisierung durch Therapien u. ä. legen?

Prof. Hoyer:
Ja. Ich glaube ohnehin, daß das Strafrecht in seiner Wirksamkeit eher überschätzt wird. Gerade bei Sexualstraftätern wären wahrscheinlich andere als strafrechtliche Mittel wirksamer. Man stellt sich immer vor, der Gesetzgeber bräuchte nur die Strafen weit genug anheben, und das Problem würde sich von selbst lösen. Das ist gerade bei Delikten wie den Sexualdelikten kaum praxisnah.

Jurassic:
Halten Sie Sexualstraftäter überhaupt für resozialisierbar?

Prof. Hoyer:
Mit Sicherheit wird die Resozialisierung der Straftäter eher davon abhängen, wie das Strafvollzugsrecht ausgestaltet wird, als davon, wie das materielle Strafrecht ausgestaltet wird.

Ich halte es für außerordentlich schwierig, Straftäter besser zu resozialisieren, als es zur Zeit geschieht.

Jurassic:
Wie ist Ihre Meinung dazu, daß Vergewaltigung in der Ehe jetzt zwar strafbar sein soll, die Ehefrau ihre Anzeige jedoch jederzeit zurückziehen kann?

Prof. Hoyer:
Zunächst besteht zwischen allen Parteien Einigkeit darüber, daß Vergewaltigung in der Ehe zukünftig strafbar sein soll. Diese Diskussion ist weitgehend abgeschlossen. Im Streit befindlich ist eigentlich jetzt nur noch die von Ihnen angesprochene Widerspruchsklausel, also die Möglichkeit der Frau, durch ihren Widerspruch das Strafverfahren aufzuhalten. Ich halte es für ganz schädlich, wenn dadurch letztlich doch eine unterschiedliche Behandlung der Vergewaltigung innerhalb einer Ehe und der Vergewaltigung außerhalb einer Ehe stattfinden würde. Wie auch immer die endgültige Regelung aussieht, sie müßte meiner Ansicht nach alle Vergewaltigungen gleich behandeln, denn das Signal, das von dieser Reform ausgehen soll, liegt ja gerade eben darin, zu dokumentieren, daß auch innerhalb einer Ehe die Vergewaltigung ein ebenso hohes Unrecht darstellt wie außerhalb der Ehe.

Deshalb würde ich eine solche Widerspruchsklausel allenfalls für akzeptabel halten, wenn sie genauso für den nichtehelichen Bereich gilt.

Jurassic:
Es stellt sich in letzter Zeit noch das Internet als ein weiteres Problem, da man in dem Bereich keinerlei Möglichkeit der Strafverfolgung hat. Sehen Sie Möglichkeiten, dem beizukommen?

Prof. Hoyer:
Das scheinen ja, soweit ich mich dort auskenne, vor allem praktische Schwierigkeiten zu sein. Ich bin alles andere als ein Computerfachmann, von daher weiß ich nicht, ob es Möglichkeiten gibt, etwaige Strafvorschriften auch praktisch umzusetzen. Mir scheint, das ist weniger ein rechtliches als ein strafverfolgungspraktisches Problem.

Die Gefahr besteht aber auf jeden Fall, und es gibt kaum Möglichkeiten, ihr zu begegnen. Wenn entsprechende Vorschriften nur auf dem Papier existieren, dann schaden sie eher, als daß sie nützen.

Jurassic:
Es handelt sich ja dabei um ein weltweites Problem, vielleicht könnte man ihm durch eine internationale Initiative beikommen?

Prof. Hoyer:
Es wäre natürlich sinnvoll für das ganze Strafrecht, wenn man zu einer verstärkten Internationalisierung auch im materiellen Strafrecht gelangen würde, wenn es einheitliche, für alle Länder verbindliche Strafvorschriften gäbe, die in allen Ländern angewendet werden könnten, für den Internetbereich ebenso wie für andere Fälle, in denen solche Probleme auftauchen. Das Problem mit den DDR-Mauerschützen rührte ja auch daher, daß die Rechtsordungen unterschiedlich ausgestaltet waren.

Jurassic:
Was halten Sie von der Begründung des Bundesverfassungsgerichts zum "Mauerschützen-Urteil"?

Prof. Hoyer:
Ich glaube, im Ergebnis konnte das Urteil nicht anders ausfallen. Über die Begründung kann man eher streiten. Sie lautet, soweit ich das der Presse entnommen habe, daß das Rückwirkungsverbot nur für Gesetze gilt, die von einem demokratischen Gesetzgeber herrühren, und nicht für Gesetze, die von einem nicht demokratisch legitimierten Gesetzgeber herrühren. Das heißt, das Bundesverfassungsgericht hat hier einen Fall der Rückwirkung angenommen, aber diese Rückwirkung für zulässig erachtet. Die BGH-Rechtsprechung und das Schrifttum waren bisher eher der Auffassung, daß es sich hier überhaupt nicht um einen Fall der Rückwirkung handle, weil die entsprechenden DDR-Gesetze von Anfang an als nichtig zu betrachten seien, das Bundesverfassungsgericht scheint aber eher einen Eingriff in Art. 103 Abs. 2 GG zu erkennen, den Eingriff aber für zulässig zu halten. Das ist sicher ein Punkt, über den man diskutieren müßte. Mir persönlich wäre es im Ergebnis auch lieber gewesen, wenn man lediglich die Hintermänner, d. h. die DDR-Regierungsmitglieder als Täter belangt hätte und die eigentlichen Mauerschützen demgegenüber eher als Gehilfen der Tat angesehen hätte, also als willfährige Vollstrecker der von oben kommenden Befehle. Dazu hätte man sich aber wiederum einer anderen dogmatischen Konstruktion bedienen und möglicherweise darauf abstellen müssen, daß das eigentliche Unrecht darin liegt, daß überhaupt die Todesschüsse erlaubt wurden und das als das täterschaftliche Unrecht ansehen müssen. Dafür hätte man die Regierungsmitglieder belangen müssen, während die Mauerschützen demgegenüber dann eher als Randfiguren zu betrachten gewesen wären. Mir scheint das dem Unrechtsgehalt näher zu kommen.

Jurassic:
Ein weiteres aktuelles Thema ist die geplante Reform des Referendariats. Halten Sie eine solche für sinnvoll, oder denken Sie, daß die bisherige Ausbildung zum Einheitsjuristen vorteilhafter ist?

Prof. Hoyer:
Ich bin auf jeden Fall dafür, den Einheitsjuristen bis zum ersten Staatsexamen durchzuziehen, d. h. an einem einheitlichen ersten Staatsexamen, zwar mit Spezialisierungsmöglichkeiten, im großen und ganzen aber doch einheitlichen Anforderungen festzuhalten. Die Referendarausbildung scheint mir eher reformbedürftig zu sein. Derzeit zielt sie ja sehr stark ab auf eine Ausbildung für den öffentlichen Dienst, insbesondere für die Justiz, für das Richteramt. Das wird aber den faktischen Verhältnissen heute jedenfalls nicht mehr gerecht, denn nur der geringste Anteil der Referendare wird später jemals den Justizdienst antreten können, so daß es mir durchaus sinnvoll erscheint, schon im Rahmen des Referendardienstes eher mehrgleisig zu fahren, d. h. also, für diejenigen, die später eine Rechtsanwaltstätigkeit anstreben, das Referendariat so auszugestalten, daß es eben auf diese Berufsrichtung zusteuert, und für diejenigen, die letztlich in die Justiz wollen, einen mehr an die Gerichte angebundenen Referendardienst zu strukturieren.


"Ich bin auf jeden Fall dafür, den Einheitsjuristen bis zum ersten Staatsexamen durchzuziehen" 


Jurassic:
Es gibt einen Vorschlag von Dr. Bissl, nach dem ersten Staatsexamen eine Anwaltsakademie einzuführen, die das Refendariat ersetzen soll. Der Zugang wäre dann nur mit einer bestimmten Staatsnote möglich, so daß Absolventen mit einer zu niedrigen Punktzahl eigentlich ohne abgeschlossene Ausbildung dastünden, da sie weder in den Staatsdienst übernommen werden, noch den Anwaltsberuf ergreifen können. Was halten Sie von einer solchen Art Anwaltsakademie?

Prof. Hoyer:
Wenn der Zugang zu einer solchen Akademie an bestimmte Noten über der Bestehensgrenze gebunden wäre, dann würde ich das nicht besonders begrüßen. Erst das zweite Staatsexamen eröffnet vollen Zugang zur Tätigkeit eines Juristen, deshalb muß jemandem, der das erste Staatsexamen bestanden hat, auch eine Möglichkeit zur praktischen Vervollkommnung seiner juristischen Kenntnisse geboten werden. Dabei ist es weniger wichtig, wer diese Möglichkeit bietet, als daß die Möglichkeit überhaupt besteht. Insofern meine ich, daß eine solche Anwaltsakademie zumindest jeden mit bestandenem ersten Staatsexamen aufnehmen müßte, genauso wie das der Staat im Rahmen der bisherigen Referendarausbildung macht.

Jurassic:
Abschließend würden wir Ihnen gerne ein paar Kurzfragen stellen, damit man sich ein Bild ihrer Persönlichkeit machen kann:

Wo möchten Sie gerne leben - außer natürlich im schönen Bayern?

Prof. Hoyer:
Italien ist mein Traumland.

Jurassic:
Warum?

Prof. Hoyer:
Italien ist erstens das Land der Kunst, zweitens das Land des Weines und drittens das Land des schönen Wetters!

Jurassic:
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?

Prof. Hoyer:
Das vollkommene irdische Glück setzt sich zusammen aus privater und beruflicher Erfüllung. Das heißt für mich ein harmonisches Zusammenleben mit meiner Frau und ein Beruf, mit dem ich mich identifizieren kann.

Jurassic:
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?

Prof. Hoyer:
Arroganz, Zögerlichkeit, Unentschlossenheit.

Jurassic:
Und was sind Ihre größten Fehler?

Prof. Hoyer:
Arroganz, Zögerlichkeit, Unentschlossenheit!

Jurassic:
Womit beschäftigen Sie sich außerhalb der juristischen Tätigkeit am liebsten?

Prof. Hoyer:
Ich lese unheimlich gerne, am liebsten Bücher aus dem nichtjuristischen Bereich, und interessiere mich für alle Künste, das heißt Malerei, Theater und Musik.

Jurassic:
Wenn Sie sich irgendeine Person aussuchen könnten - wer hätten Sie gerne sein mögen?

Prof. Hoyer:
Mein Traum, wenn ich die entsprechende Begabung hätte, wäre es, ein bedeutender moderner Komponist zu sein. Wenn ich noch einen Namen hinzufügen soll... der bedeutendste Komponist des 20. Jahrhunderts wäre für mich Arnold Schönberg. Ich könnte jetzt auch Beethoven sagen, aber in ihn könnte ich mich weniger hineinversetzen als in einen Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Jurassic:
Was ist Ihr hervorstechendster Charakterzug?

Prof. Hoyer:
Ich würde sagen, ganz unterhaltsam...! Ich bin auch ziemlich zuverlässig.

Jurassic:
Wir haben vorher das größte Glück angesprochen. Aber was wäre für Sie das größte Unglück?

Prof. Hoyer:
Das größte Unglück für mich wäre eine schwere Krankheit entweder für meine Frau oder für mich.

Jurassic:
Was verabscheuen Sie am meisten?

Prof. Hoyer:
Geistige Unbeweglichkeit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen, Rücksichtslosigkeit.

Jurassic:
Wenn Sie sich eine natürliche Gabe zusätzlich aussuchen könnte, welche würden Sie wählen?

Prof. Hoyer:
Daß ich so ein hervorragender Tennisspieler wäre wie Boris Becker!

Jurassic:
Was ist das größte Vorbild, das Sie persönlich geprägt hat?

Prof. Hoyer:
Das waren für mich eigentlich immer Personen, die ich nicht persönlich gekannt habe, sondern nur aus der Geschichte kenne. Meistens Personen, die ich mir als kühn, siegreich, jung und erfolgreich vorgestellt habe, Alexander der Große zum Beispiel, oder Helden aus der griechischen Sage, Odysseus meinetwegen, die von Sieg zu Sieg eilten. Vorbilder sind eben dazu da, daß man sie verfehlt.

Jurassic:
Würden Sie uns zum Abschluß noch Ihr Lebensmotto verraten?

Prof. Hoyer:
Ich überlege, ob ich so etwas hätte wie ein Lebensmotto...: Haste was, biste was!
Das ist nicht mein Lebensmotto, das war mehr ironisch gemeint!

Jurassic:
Das war´s eigentlich, oder gibt es sonst noch etwas, das Sie gerne loswerden möchten?

Prof. Hoyer:
Sie haben mich noch gar nichts über Bayern gefragt!!

Jurassic:
Warum machen Sie eigentlich immer bayernfeindliche Witze in den Vorlesungen? Haben Sie verdeckte Abneigungen gegen Bayern, oder machen Sie das zur Auflockerung?


"Sie haben mich noch gar nichts über Bayern gefragt!!" 


Prof. Hoyer:
Eigentlich denke ich, daß es nur zur Auflockerung dient. Ich bin kein Bayer und werde es sicher auch nie werden, das muß man wahrscheinlich von Geburt an sein. Aber bevor ich nach Bayern gekommen bin, habe ich mich auch nicht eigentlich als Norddeutscher gefühlt, ich habe mir eigentlich überhaupt nicht großartig Gedanken gemacht darüber, ob ich nun Schleswig-Holsteiner oder Norddeutscher oder Süddeutscher oder was auch immer bin. Da Bayern aber eine ganz spezifische Identität besitzt, lockt es mich geradezu dazu, darüber Witze zu machen. Wenn ich in Baden-Württemberg arbeiten würde, würde ich wahrscheinlich keine Witze über die Baden-Württemberger machen. Aber ich meine es eigentlich nie ernst, und ich denke, das wissen die Studenten auch.

Jurassic:
Es trägt sehr zur Erheiterung bei und hat Ihnen inzwischen schon einen gewissen Ruf eingetragen!

Prof. Hoyer:
Das ist ein integraler Bestandteil meiner Vorlesungen, auf den ich mittlerweile kaum noch verzichten möchte.

Jurassic:
Die Studenten auch nicht.

Prof. Hoyer:
Haben Sie schon etwas gehört bei mir?

Jurassic:
Die Anfängervorlesung im letzten Semester.

Prof. Hoyer:
Da habe ich doch nur ganz wenige Bayernwitze gemacht.

Jurassic:
Naja, Bayern können nicht schwimmen...!

Prof. Hoyer:
Nein, also ich habe durchaus Achtung vor dem Freistaat Bayern.

Jurassic:
Was ist das Spezifische daran?

Prof. Hoyer:
Bayern fühlen sich viel mehr als Bayern, als Angehörige anderer Bundesländer sich als Angehörige dieser Bundesländer fühlen, glaube ich. Von daher ist für mich ein Bayer etwas, worauf man besser draufschlagen kann als auf den Angehörigen irgendeines anderen Bundeslandes. Das ist aber nicht persönlich gemeint, sondern nur Ausdruck vielleicht eines gewissen Respekts, das sind ja meistens eigenwillige Menschen, und ich stehe den Bayern nach wie vor mit einer Mischung aus Bewunderung und Verwunderung gegenüber.

Jurassic:
Ist Ihnen dieser Stolz der Bayern auf ihr Land sofort aufgefallen, als sie hierher kamen?


Daß ich ein Norddeutscher bin, habe ich erst bemerkt, als ich nach Bayern kam, indem ich eben Nichtbayer war. 


Prof. Hoyer:
Ich denke ja. Es ist mir ziemlich bald aufgefallen, daß alle sich hier als Bayern fühlen. "Ich bin ein Bayer aus Überzeugung", habe ich hier oft gehört. Ich hätte zumindest, bevor ich nach Bayern gekommen bin, nie gesagt: "ich bin ein Schleswig-Holsteiner aus Überzeugung". Daß ich überhaupt ein Norddeutscher bin, habe ich eigentlich erst richtig bemerkt, als ich nach Bayern kam, indem ich eben Nichtbayer war. Das ist mir jedenfalls am Lehrstuhl hier genauso begegnet wie bei den Menschen außerhalb der Universität.

Jurassic:
Es ist interessant, wie sich die Klischees gegenseitig hochschaukeln.

Prof. Hoyer:
Es sind vielleicht tatsächlich nur Klischees. Als ich damals zunächst als Lehrstuhlvertreter hierherkam, hatte ich auch noch Veranstaltungen in Schleswig-Holstein. Dadurch habe ich auch gesehen, wie die Studenten anders sind hier und da. Die Klischees werden also schon bestätigt. Das liegt vielleicht auch daran, daß sie so festsitzen bei mir, daß ich immer nur sehe, aha, sieh mal an, natürlich Bayern! Ich lasse mir meine Vorurteile eben nicht einfach von der Realität widerlegen... keine antibayerischen Vorurteile, sondern nur Bayern betreffende Vorurteile.

Jurassic:
Sie sind ja nur drei oder vier Tage in der Woche in Regensburg. Wie schaffen Sie es, in dieser relativ kurzen Zeit Ihren Lehrstuhl zu organisieren?

Prof. Hoyer:
Zunächst einmal bemühe ich mich, meine Veranstaltungen zu blocken, so daß sie nach Möglichkeit nur von Dienstag bis Donnerstag stattfinden. An den beiden anderen Tagen, Montag und Freitag, halte ich natürlich telefonischen Kontakt zum Lehrstuhl. Im übrigen ist es tatsächlich so, daß der Lehrstuhl einigermaßen selbständig arbeitet und auch entscheiden darf und soll. Ich fahre jede Woche sieben Stunden nach Regensburg und sieben Stunden wieder zurück, das sind immer Zeiten außerordentlich konzentrierten Arbeitens, in denen mich niemand stört, kein Student, keine privaten Ablenkungen, kein Fernseher, ich kann mir die Zeit also gar nicht anders vertreiben, als indem ich mich mit juristischen Belangen beschäftige und ich bin auch während dieser Tage immer ziemlich zufrieden mit dem Pensum, das ich geleistet habe. Es ist also keine verlorene Zeit, sondern ich nutze sie nahezu bis zur letzten Minute aus.

Jurassic:
Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

H.K./bh/C.P.
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Stand: 6.2.1997, Ulf Kortstock