Nach seinem skandalösen Leserbrief in der letzten Ausgabe der "Jurassic" erhält unser Kommilitone Josef Wullenwever jetzt eine eigene Kolumne. Er berichtet von nun an regelmäßig über Neuigkeiten, Nettigkeiten, Grausamkeiten und Garstigkeiten an unserer juristischen Fakultät, und zwar unter dem Titel

Wullenwevers Widerworte

Liebe Leserin, lieber Leser,

nachdem es mir voriges Semester trotz der geschilderten Widrigkeiten gelungen ist, meine Scheinesammlung zu komplettieren, bereite ich mich nun voller Elan auf die erste juristische Staatsprüfung vor. Da ich nach der Hummer-Methode lerne (Ihr wißt schon: "Probleme schaffen, nicht wegschaffen"), vermißte ich in der Bibliothek schon länger die hierfür unentbehrlichen "examenstypischen, anspruchvollen und umfassenden Skripten". Denn wer ein 15,5-Punkte-Fuchs werden will, der kann sich einen Irrtum beim Lernmaterial nicht leisten. Findet zumindest der Verlag.

Gab es da nicht vor einiger Zeit eine aufsehenerregende Aktion namens "Gib für die Bib", die angeblich 100.000 DM für neue Bücher eingebracht hatte? Auch ich hatte 10 Mark gespendet, um an der Verlosung juristischer Literatur teilnehmen zu können. Das Buch mit dem Titel "Der Hehler im Rausch" oder so ähnlich, das ich gewonnen habe, habe ich aber bis heute noch nicht abgeholt.

Naja, jedenfalls sollten von dem vielen Geld noch ein paar Mark für die tollen Hummer-Skripten übrig sein, dachte ich mir und marschierte geradewegs in die Fachschaft, um mal nachzufragen. Kaum hatte ich das Zimmer betreten, fiel mein Blick auch schon auf zwei große Stapel brandneuer türkisblitzender Hummer-Hochglanzskripten. Die wären für die Bib, wurde mir erklärt, auf Anfrage der Fachschaft gespendet vom großherzigen Hummer persönlich. Doch leider sei das Personal der Recht-I-Bibliothek nicht in der Lage gewesen, 70 Skripten hinter der Theke zu verstauen. Denn dann hätte man die anderen ja womöglich aufrecht hinstellen müssen oder so. Deswegen würden die Dinger nun in "Recht II" gelagert (wo zum Teufel befand sich die denn eigentlich?). Also, ich muß sagen, ich habe absolutes Verständnis für die Nöte der Biblitheksangestellten. Schließlich haben sie schon alle Hände voll zu tun. Ständig sieht man sie Bücher einsortieren und ordnen, andauernd klingelt das Diensttelefon, und nicht mal laut unterhalten können sie sich, weil die Studenten sich ja konzentrieren müssen und nicht gestört werden dürfen.

Nach längerer Suche habe ich dann auch die "Recht II"-Bibliothek gefunden. Mit den Kenntnissen, die ich mir dank der Hummer-Skripten erworben hatte, wollte ich sogleich meine erste Probe-Examensklausur bestreiten. Mit Entsetzen mußte ich jedoch feststellen, daß der universitäre Klausurenkurs zeitlich höchst unflexibel ausgestaltet ist. Er findet nämlich - außer im Strafrecht - nur am Samstagvormittag statt. Also fiel schon mal mein wöchentlicher Marktbesuch flach, und zu meiner Freundin nach Heidelberg konnte ich auch nicht fahren. Dabei wäre es doch eigentlich kein Problem, die Arbeiten schon freitags auszugeben und montags wieder einzusammeln, oder?!

Meine ersten Ergebnisse waren leider ziemlich bescheiden - trotz der Hummer-Methode. Ich konnte mir dies nicht erklären, und auch die Korrekturbemerkungen gaben keinen Aufschluß. Am allerwenigsten die einiger Assistenten von Herrn Korber und Herrn Walter Zimmermann. Auch eine schriftliche Lösungsskizze hätte nicht geschadet.

Da ich meine Kritik nicht für mich behalten wollte, mich aber auch nicht getraut habe, den Dozenten persönlich den Marsch zu blasen, wanderte ich abermals zur Fachschaft. Dort erfuhr ich, daß eine Vorlesungsbewertung in Planung sei. Ich glaube, die nannten das "Evulation" oder so ähnlich. In diesem Semester könnten aber leider noch nicht alle Veranstaltungen berücksichtigt werden. Fleißige Mitarbeiter seien aber jederzeit willkommen, es gebe viele interessante Tätigkeiten.

Ich trat also der USV bei und wurde erstmal zum Kühlschrankputzen abkommandiert. Igitt!!! Als ich gerade beim Eisfach angekommen war, klingelte das Telefon. Ich faßte mir ein Herz, nahm den Hörer ab und meldete mich mit "Fachschaft Jura, Wullenwever", und bevor ich noch das "Grüß Gott" über die Lippen brachte, wurde ich schon wüst beschimpft. Ich wußte gar nicht, wie mir geschah und wer mir da Böses wollte. Der Anrufer ging jedenfalls, wie er sagte, auf die sechzig zu und habe es nicht nötig, sich von Leuten, die sowieso keine Ahnung von überhaupt nichts hätten, evolieren zu lassen. Einen unverschämten Brief habe er bekommen und seit '68 sei ihm solch ein Akt studentischer Willkür nicht mehr untergekommen. Wenn man ihn in den Ruhestand schicken wolle, sei ihm das auch recht, dann könnte er sich endlich ungestört der Wissenschaft widmen. Er lehre ja gern, aber nicht zu unseren Bedingungen. Wenn dieser Mensch nochmal anruft, geht hoffentlich jemand anderes ans Telefon.

Wie ich später erfahren habe, hat er die Evolution dann aber doch über sich ergehen lassen. Dieses Semester kann er sich ja auch noch aussuchen, ob er das Ergebnis veröffentlichen lassen will oder nicht.

Ich werde jedenfalls ganz bestimmt weiterhin veröffentlichen.

Herzlichst Euer
 
 

Josef Wullenwever

Ach ja, was ich noch fragen wollte: Wo gibt's denn eigentlich diese praktischen grünen Bibliotheksausweise mit denen man sich all die schönen Bücher monatelang unter den Nagel reißen kann??? Mit meinem weißen scheint das irgendwie nicht zu funktionieren...

Und warum sind eigentlich die freundlichen Damen von der bewachten Garderobe wegrationalisiert worden? Vielleicht, um soziokulturell benachteiligten Kommilitonen die Möglichkeit zu bieten, sich günstig mit Kleidungsstücken und Ledertaschen einzudecken, die nun unbeaufsichtigt vor der Bib herumliegen?

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Stand: 5.3.1997, Ulf Kortstock