Aus den Gründen: der Bundesminister
der Verteidigung hat in Nr. 2 des Erlasses v. 13.5.1972 befohlen:
a) bei aufrechter Haltung des Kopfes
darf das Haar weder Uniform noch Hemdkragen berühren
b) das Haupthaar ist so zu tragen,
daß Ohren und Augen nicht durch überhängende Haare bedeckt
werden.
c) das Haar muß am Kopf anliegen;
es darf den vorschriftsmäßigen Sitz der militärischen Kopfbedeckung
nicht behindern.
d) Bärte und Koteletten müssen
kurz geschnitten sein.
[...] Der angefochtene Befehl dient
ausschließlich dienstlichen Zwecken (§ 10 VI SG; vgl. auch §
11 I 3 SG). Soldaten, die längere Haare tragen, sind bei zahlreichen
in der Bundeswehr auszuübenden Tätigkeiten technischer Art unfallgefährdet
und darüber hinaus häufig auch behindert, insbesondere sichtbehindert.
Befehle, die einer solchen Unfallgefährdung und Funktionsbehinderung
entgegenwirken sollen, dienen unmittelbar militärischen Belangen und
damit dienstlichen Zwecken.
Der Befehl beeinträchtigt nicht
die Menschenwürde, auf deren Beachtung der Soldat nach Art. 1 GG i.V.m.
§ 6 SG Anspruch hat. Die Würde des Menschen wird nicht dadurch
verletzt, daß im Interesse seiner eigenen Sicherheit und zur Erhaltung
seiner vollen Funktionsfähigkeit unter Berücksichtigung der Hygieneerfordernisse
befohlen wird, das Haupthaar nur bis zu der in Nr. 2a des angefochtenen
Erlasses bestimmten Länge zu tragen. Er wird damit weder zum Objekt
noch zum bloßen Mittel herabgewürdigt oder erniedrigt. Weder
wird seine ureigenste Intimsphäre mißachtet noch seine Ehre
in demütigender Weise verletzt. [...]
Ein Befehl, der zur Vermeidung von
Unfallgefahren oder von Behinderungen die Länge und Trageweite des
Haupthaares der Soldaten in der Weise begrenzt, wie dies in Nr.2a-c des
Befehls vom 13.5.1972 geschehen ist, ist der Erreichung dieser dienstlichen
Zwecke augenscheinlich förderlich. Das galt zwar auch schon für
die frühere Regelung, derzufolge Soldaten mit Haaren bestimmter Länge
im Dienst ein Haarnetz zutragen hatten. Ob diese frühere Regelung
weniger tief in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
eingriff als der Befehl vom 13.5.1972, mag in Anbetracht des Umstandes,
daß Haarnetze von einer größeren Anzahl von Soldaten als
unschön empfunden wurden, zweifelhaft sein, bedarf aber keiner abschließenden
Beurteilung. Denn die jetzige Regelung, durch die unter Abschaffung der
Verpflichtung zum Tragen von Haarnetzen die Länge und Trageweise des
Haupthaares in bestimmter Weise beschränkt wird, bietet unter dem
Gesichtspunkt militärischer Zweckmäßigkeit Vorteile. Wenn
der BMVtgg diesen militärischen Belangen bei der neuen Regelung nun
mehr den Vorrang beigemessen hat so ist das rechtlich nicht zu beanstanden.
[...] Das ergibt sich daraus, daß die Verteidigungsbereitschaft ein
Rechtsgut von besonderem Rang ist. Da die Vorgesetzten dem Rechnung zu
tragen haben, sind sie berechtigt und sogar verpflichtet, die Bundeswehr
so zu gestalten, daß mit den vorhandenen Mitteln ein Optimum an Schlagkraft
erreicht wird. § 6, 2 SG erlaubt es demgemäß, das Grundrecht
der Soldaten auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit so weit einzuschränken,
wie es zur Erreichung dieses Zwecks notwendig ist. Berücksichtigt
man dies, so geht der angefochtene Befehl über das im Sinne des §6,
2 SG militärisch Erforderliche nicht hinaus.
Der Befehl bietet unter militärischen
Gesichtspunkten gegenüber der früheren Haarnetzregelung eine
ganze Reihe von Vorteilen. Hierzu zählt in erster Linie, daß
er den hygienischen Bedürfnissen der Truppe in höherem Maße
gerecht wird. Sauberkeit und Gepflegtheit der Haare, wie sie in der Bundeswehr
mit Recht von jeher verlangt worden sind, sind nicht voll zu gewährleisten,
wenn das Tragen längerer Haare zugelassen wird. Denn längere
Haare bedürfen, um möglichst sauber und gepflegt zu sein, häufigeren
Waschens und Kämmens. Die Bereitschaft zu einer solchen intensiveren
Haarpflege kann nicht bei allen Soldaten mit langen Haaren ohne weiteres
vorausgesetzt werden. Auch die Möglichkeit hierzu kann den Soldaten
nicht unter allen Umständen gegeben werden, namentlich nicht bei Manövern,
unter den beengten Verhältnissen an Bord von Schiffen oder in Stellungen,
die auch im Frieden dauernd besetzt sein müssen. Daß hiervon
erst recht beim Einsatz im Ernstfall, auf den der Soldat vorbereitet sein
muß, keine Rede sein kann, bedarf keiner weiteren Ausführung.
Der Befehl vermeidet Nachteile, die
das Tragen von Haarnetzen mit sich bringen kann. Haarnetze stellen keinen
absolut sicheren Unfallschutz dar, weil sie abgestreift werden können.
Sie können sogar - wenn auch unter ungünstigen Umständen
- selbst zur Gefahrenquelle werden. Das Tragen von Haarnetzen schließt
es auch nicht sicher aus, daß Soldaten durch lange Haare in ihrer
Funktion behindert werden; das Haarnetz kann vielmehr in bestimmten militärischen
Situationen, z.B. beim Aufsetzen der ABC-Schutzmaske, geradezu hinderlich
sein. All das kommt beim Tragen kürzerer Haare nicht in Betracht.
Das Kürzen der Haare ist daher aus militärischer Sicht als das
einfachste, sicherste und beste Mittel zum Schutz vor Unfallgefahren und
zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der Funktionssicherheit, die
durch das Tragen langer Haare entstehen können, anzusehen.
[...] Wird den Soldaten das Tragen
längerer Haare gestattet, so ist es unumgänglich, für die
Träger längerer Haare gleichzeitig das Tragen eines Haarnetzes
vorzuschreiben, um sie vor Unfallgefahren zu schützen und ihre volle
Funktionsfähigkeit sicherzustellen. Dabei müssen die Haarnetze,
wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen und nicht dauernd zerreißen
sollen, eine gewisse Dichte und Festigkeit aufweisen, so daß beim
Tragen solcher Haarnetze das Haupthaar kaum noch sichtbar ist. Werden von
Soldaten mit längeren Haaren während des Dienstes derartige Haarnetze
getragen, wie dies nach der früheren Haarnetzregelung zu geschehen
hatte, die der Senat in einer ganzen Reihe von Entscheidungen als rechtmäßig
beurteilt hat, so besteht für die Vorgesetzten nur noch in stark vermindertem
Umfange die Möglichkeit, bei diesen Soldaten die Sauberkeit und Gepflegtheit
der Haare zu kontrollieren. Gerade bei Soldaten mit längeren Haaren
besteht für eine solche Überwachung aber ein besonderes Bedürfnis,
weil die längeren Haare einer intensiveren Pflege bedürfen, um
sauber und gepflegt zu sein. Das gilt noch mehr, wenn Soldaten mit längeren
Haaren im Dienst ein Haarnetz zu tragen haben, weil das zu vermehrtem Schwitzen
der Kopfhaut führen kann.[...]
Die Regelung ist weder hinsichtlich
ihres Inhalts noch hinsichtlich des angesprochenen Personenkreises unnötig
zu weit erstreckt und verstößt daher nicht gegen das Gebot der
Verhältnismäßigkeit. [...]
Der angefochtene Befehl greift nicht
unzulässig in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein
(Art. 2 II 1 GG).[...]
Selbst wenn berücksichtigt wird,
daß die Haartracht - anders als die Länge oder Form von Finger-
oder Fußnägeln - auch bei Männern in besonderem Maße
Ausdruck der körperlichen Individualität ist, stellt weder das
durch den angefochtenen Erlaß befohlene Kürzen der Haare noch
die darin angeordnete Beschränkung der Trageweise der Haare eine schwerwiegende
Beeinträchtigung des körperlichen Bereichs dar, die als Verletzung
des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gewertet werden könnte.
Das käme, wie ausgeführt, in Betracht, wenn den Soldaten nicht
ein friseurmäßiger Haarschnitt befohlen worden wäre, sondern
wenn es sich um ein unregelmäßiges oder sonst entstellendes
Abschneiden der Haare handeln würde. Durch den angefochtenen Befehl
wird jedoch nicht ein solches entstellendes Schneiden der Haare verlangt,
sondern lediglich ihr Kürzen auf eine bestimmte, bei Soldaten wie
auch bei Nichtsoldaten sehr häufig zu beobachtende Länge sowie
das Tragen der Haare in einer Form, wie sie auch sonst keineswegs ungewöhnlich
ist (Fassonschnitt). Mögen auch vor allem jüngere Männer
vielfach längere Haare tragen, als sie der angefochtene Befehl für
Soldaten der Bundeswehr noch zuläßt, so kann doch bei Anlegung
eines an den Auffassungen der Mehrheit der Staatsbürger orientierten
Maßstabes nicht davon die Rede sein, daß der befohlene Fassonschnitt
als verunstaltend anzusehen ist; er wirkt nicht einmal auffallend, geschweige
denn abstoßend oder widerwärtig. Auch hinsichtlich der Beschränkung
der Trageweise der Haare enthält der Befehl einen so geringfügigen
Eingriff in den körperlichen Bereich der Soldaten, daß eine
Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit nicht anzunehmen
ist.
(BVerwGE 46, 1)
letzte Aktualisierung: 5. März
1997