Jurassic SS 1999

REFORM DER JURISTENAUSBILDUNG:
UND SIE WARTEN, UND WARTEN, UND WARTEN ...


- Vorschlag für eine Umgestaltung des Jura-Studiums in der Juristischen Fakultät -

Je länger die Diskussion um die Juristenausbildung andauert, um so mehr steigt die Frustration bei den Beteiligten und Betroffenen. Ein Studentenleben ist glücklicherweise viel zu kurz, um in Folge des Interesses an der Diskussion dauerhafte Schäden zu erleiden zu können ...

Die Bemühungen um die Einführung einer einphasigen Juristenausbildung sind jedenfalls im Sumpf irgendwelcher Justizministerien steckengeblieben. Dies gibt Anlaß, einen Blick darauf zu werfen, ob nicht die Fakultäten im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst etwas für die Verbesserung der Ausbildung tun können, und zwar ohne daß sie auf die „Hilfe" von Ministerien angewiesen wären.

In der Tat weist der Studienplan der Regensburger Juristischen Fakultät eine Merkwürdigkeit auf, die so selbstverständlich ist, daß sie von niemandem in Frage gestellt wird: Warum läuft die Ausbildung in der Weise ab, daß – am Beispiel des Zivilrechts – im ersten Semester mit § 1 BGB begonnen und im vierten oder fünften Semester mit § 2385 BGB aufgehört wird? Sicherlich wird zu Beginn jeder Erstsemestervorlesung ein Überblick über das BGB gegeben, und es werden dessen wesentliche Strukturmerkmale aufgezeigt. Trotzdem müssen sich Jurastudenten und -studentinnen bereits im ersten Semester mit Details des Rechtsscheins im Bürgerlichen Recht auseinandersetzen, der anerkanntermaßen zu den schwierigsten Problemen des Bürgerlichen Rechts gehört, und dessen Kenntnis im Examensrep mit der Bemerkung vorausgesetzt wird, das Thema sei ja bereits im ersten Semester behandelt worden. Dagegen erfährt man etwas über die Grundlagen des Gerichtsaufbaus erst nach 2 ½ Jahren in der ZPO-Vorlesung.

Ein weiteres Beispiel aus dem Öffentlichen Recht: Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes hat aufgrund seiner Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip seinen Platz zunächst in der Vorlesung „Staatsorganisationsrecht". Angesprochen wird er auch in der Grundrechtsvorlesung bei der Rechtmäßigkeit des Grundrechtseingriffs und als Kompetenzgrundlage für das Tätigwerden der Exekutive im Allgemeinen Verwaltungsrecht. Zwischen erster und letzter Veranstaltung liegt nach dem Studienplan jedoch ein Zeitraum von einem Jahr – kein Wunder, daß es den Studierenden oft schwerfällt, die Zusammenhänge herzustellen.

Der Vorschlag, der Abhilfe schaffen könnte, geht dahin, zu Beginn jeden Rechtsgebiets (zumindest im Zivilrecht und im Öffentlichen Recht) eine einsemestrige Einführungsvorlesung abzuhalten, in der nur Grundstrukturen, diese jedoch ausführlich und intensiv, dargestellt und behandelt werden.

Diese Veranstaltungen müssen einen Mittelweg zwischen konkreter Arbeit am Gesetz und abstrakter Rechtstheorie finden, denn letztere macht erst dann Sinn, wenn sich ein gewisses praktisches Gespür für die Lösung von Fällen entwickelt hat. Auf einzelne Paragraphen sollte nur eingegangen werden, wenn dies für die Vermittlung von Grundverständnis unerläßlich ist. So ließe sich z.B. ein einfacher Baurechtsfall „lösen", jedoch nicht um das Baurecht darzustellen, sondern um das Zusammenspiel von Grundrechten, Parlamentsgesetzen und Verwaltungstätigkeit zu erklären.

Je länger man über dieses Konzept nachdenkt, umso mehr muß man sich fragen, warum es nicht praktiziert wird. Ist es nicht natürlich und deshalb didaktisch geradezu geboten, daß man sich mit Grundlagen beschäftigt, bevor man zu den Details übergeht? Immerhin zeigen auch ERASMUS- bzw. SOKRATES--Erfahrungen, daß dieses Vorgehen in andern Ländern (introduction au droit, scottish legal system) gang und gäbe ist.

Es stellt sich allerdings die Frage, welche Nachteile mit dieser Vorgehensweise verbunden sind, und ob sie gegebenenfalls die Vorteile überwiegen.

Vermutlich würde die Ausbildung im ersten Semester zu einer gewissen Verschulung führen.

Allerdings bleiben für die Arbeit am Gesetz (mindestens) fünf bis sechs weitere Semester Zeit, in denen zudem vom Grundstock des ersten Semesters profitiert werden könnte.

Im übrigen schadet es auch nicht, wenn im ersten Semester Bestandteile des Stoffs auswendig gelernt werden, solange später der praktische Sinn und Zusammenhang deutlich wird, auf die dann entsprechend leicht zurückgegriffen werden kann.

Die konkrete Arbeit am Gesetz kann den Studierenden erst ab dem zweiten Semester, frühestens zwei bis drei Monate nach Beginn der Einführungsveranstaltung, nahegebracht werden, weswegen der Scheinerwerb im herkömmlichen Sinne wohl erst ein Semester später als bisher erfolgen kann.

Dieser Zeitverlust könnte z.B. durch den Wegfall der Hausarbeiten in den Anfängerübungen kompensiert werden - eine Möglichkeit, die bei vielen Professoren durchaus auf Zustimmung stößt, weil gerade wissenschaftliches Arbeiten gute Grundkenntnisse des Rechtsgebiets voraussetzt.

Wer Leistungsnachweise für unentbehrlich hält könnte nach dem Einführungssemester auf eine Abschlußklausur bestehen.

Ob sich eine ausführliche Einführungsvorlesung mit der geplanten Zwischenprüfung vereinbaren läßt, hängt von den konkreten Vorgaben an die Juristischen Fakultäten ab. Es wäre allerdings bezeichnend, wenn eine Zwischenprüfung, deren Sinn erheblich bezweifelt werden kann, auf Kosten von Spielräumen eingeführt würde, die effektiv für eine Verbesserung der Juristenausbildung genutzt werden könnten.

Auf die die Einführungsveranstaltung leitenden Professoren käme anfangs wohl einiges an Arbeit zu, weil das Konzept eine relativ exakt abgestimmte Stoffvermittlung erfordert, was ohne Absprache zwischen den verschiedenen Veranstaltungsleitern kaum möglich ist. Angesichts der eindeutigen Vorteile für die Studierenden kann man aber nur hoffen, daß sich niemand auf seine Lehrfreiheit zurückzieht.

T.P.


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letzte Aktualisierung: 23. August 1999