Jurassic SS 1999

SEXUELLE ÜBERGRIFFE? AN HOCHSCHULEN? - BEI UNS???!


Im Mai erschienene Broschüre gegen sexuelle Übergriffe an der Hochschule

Christiane Rohleder, Stellv. Frauenbeauftragte der Juristischen Fakultät; Vorstandsfrau bei NOTRUF und Beratung für vergewaltigte und belästigte Frauen und Mädchen Regensburg e.V.

"Gibt es denn das?", "Meint Ihr, das gibt es auch in Regensburg?", "Ist da denn der Bedarf da?" - Das sind Fragen, die wir zu der Broschüre „Sexuelle Übergriffe an Hochschulen? Aber doch nicht bei uns!" - bevor diese gelesen wurde - immer wieder zu hören bekommen haben. Erstellt wurde die Broschüre von der Initiative gegen sexuelle Übergriffe an der Universität Regensburg, einer Gruppe von Studentinnen, Fakultätsfrauenbeauftragten und Mitarbeiterinnen von "Notruf und Beratung für vergewaltigte und belästigte Frauen und Mädchen Regensburg e.V.".

Mit der über 40-seitigen Broschüre soll eine Diskussion über das Thema „sexuelle Gewalt an Hochschulen" angestoßen werden und gleichzeitig betroffene Frauen* ermutigt werden, nicht weiter zu schweigen. Sie ist die erste dieser Art in der Bundesrepublik, die kostenlos erhältlich ist und ein breites Publikum umfassend informieren will.

Zunächst ist es uns wichtig, sich mit der Realität sexueller Gewalt – und bestehenden Vorurteilen und Mythen auseinanderzusetzen. Falsche Bilder sind eine Gefahr für Frauen, indem auf der einen Seite konkrete Gefahren nicht rechtzeitig wahrgenommen werden können und auf der anderen Seite als angstbesetzt empfundene Situationen generell vermieden werden, was die Freiheit von Frauen erheblich einschränken kann. Ängste vor Übergriffen – z. B. in der Tiefgarage oder in den dunklen Gängen der Universität – kennen die meisten Frauen. Meist ist es jedoch nicht der fremde Mann im Dunkeln, sondern der Bekannte aus der Cafeteria, der Mitarbeiter eines Lehrstuhles oder auch ein Professor, der seine Überlegenheit oder auch seine Stellung an der Universität ausnutzt. Oft beginnen Übergriffe schleichend über Wochen und Monate, die betroffene Frau wird solange bedrängt und bedroht, bis ihr Widerstand gebrochen ist. Manche Frauen wagen nicht, sich zu wehren, denn sie fürchten um ihre Noten, ihr Examen – oder gar um ihre ganze weitere wissenschaftliche Karriere, die von der Gunst eines einzigen Professors abhängen kann. Einige sehen keinen Ausweg mehr, als dem Drängen des Belästigers nachzugeben. Andere brechen ihre Diplom- oder Doktorarbeit bei einem bestimmten Professor ab, manchmal sehen Frauen sich durch fortdauernde Belästigungen sogar gezwungen, ein Studium oder ihre Arbeitsstelle aufzugeben. Und gerade, wenn Übergriffe in persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen verübt werden, ist es für die betroffene Frau besonders schwer, über die erlittene Gewalt überhaupt zu reden, geschweige denn sich zu wehren.

Ziel der Broschüre ist es, Ursachen für sexuelle Gewalt an der Hochschule zu verdeutlichen und Vorschläge zu machen, wie das Problem von verschiedensten Seiten angegangen werden kann. Gleichzeitig soll betroffenen Frauen Mut gemacht werden, mit ihren Erfahrungen und Ängsten nicht allein zu bleiben. Konkrete Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten werden aufgezeigt.

Bei dem Begriff „sexueller Übergriff" denken Viele sofort an Vergewaltigung. In der Broschüre wird demgegenüber deutlich gemacht, daß unter sexuellen Übergriffen jedes sexualisierte Verhalten zu verstehen ist, das von den Betroffenen nicht erwünscht ist und von Ihnen als beleidigend, abwertend und kränkend empfunden wird. Insofern unterscheidet sich ein sexueller Übergriff auch deutlich von einem Flirt: Bei einem Flirt sind es beide, die den Kontakt wünschen, ein Flirt macht beiden Spaß, wohingegen es bei einem Übergriff gerade um die Erniedrigung und Demütigung, das Benutzen der anderen zu Zwecken geht, die nichts mit deren Wünschen zu tun haben. Auch von „Mißverständnissen" lassen sich sexuelle Übergriffe deutlich unterscheiden. Ein tatsächliches Mißverständnis ist schnell aus dem Weg zu räumen. Wer mißverstanden wurde, bemüht sich um Klärung und versucht, das mißzuverstehende Verhalten in Zukunft zu vermeiden. Wer belästigen will hingegen schert sich nicht um die negativen Gefühle der Frau.

Sexuelle Übergriffe können verschiedenste Formen annehmen – von verbalen Beleidigungen über fortgesetzte Verunsicherung und Telefonterror bis hin zum Zwang zur Aufnahme einer Beziehung oder eben auch einer vollendeten Vergewaltigung. Verunsicherung, Angst, Zweifel an der eigenen Wahrnehmung, Schuld- und Schamgefühle können die psychischen Folgen eines sexuellen Übergriffes sein - auch dies ist Thema der Broschüre.

Für Frauen, die sexuelle Übergriffe erlebt haben, werden Beratungs- und Unterstützungsangebote vorgestellt – wie z. B. die Arbeit des Regensburger Notrufs. Die wichtigsten Informationen über Wege, rechtlich und außerrechtlich gegen Übergriffe vorzugehen, sind in der Broschüre zusammengestellt. Ergänzend dazu findet sich ein aktueller Adreß- und Literaturteil.

Gleichzeitig wendet sich die Broschüre an Angehörige, Freundinnen und Freunde von Opfern. Viele wollen helfen, fühlen sich aber hilflos und überfordert. Um eine Frau nach einem Übergriff unterstützen zu können, ist es wichtig, sich diese Hilflosigkeit ggf. auch einzugestehen und sich selbst Unterstützung zu holen. Die Versuchung, das Geschehene nicht wahr haben zu wollen, ist groß - zumal, wenn der Übergriff von einer Person ausging, die man selbst auch kennt. Erliegt man dieser Versuchung, bedeutet dies aber, die Betroffene allein zu lassen. Auch die Versuchung, der Frau die Schuld geben zu wollen, ist groß - dann wäre man selbst ja auch weniger hilflos: Sie hätte ja dieses oder jenes tun können. Mit solchen Reaktionen werden aber die ohnehin meist massiven Mitschuldgefühle der Betroffenen verstärkt. Wichtig ist es daher, die Frau einfach nur ernst zu nehmen und ihr keine Vorwürfe zu machen.

Daneben werden Möglichkeiten für Frauen zum Umgang mit angstbesetzten Situationen aufgezeigt, dabei wird die Wichtigkeit betont, eigene Gefühle von Gefährdung wahr- und ernstzunehmen. Gleichzeitig kann der offene Ausdruck von Wut und Ärger, genau wie offensive Gegenwehr, Sicherheitsgefühl und Sicherheit von Frauen erhöhen. Oft kann ein frühzeitiges „NEIN!" - und sei es, z.B. einem Bekannten oder Professor gegenüber noch so „unhöflich" (wo sind seine Höflichkeitsregeln abgeblieben?) - die Intensivierung schleichender Übergriffe verhindern.

Ein Extrakapitel der Broschüre ist neuen Formen sexueller Belästigung mittels neuer Medien gewidmet – Stichwort Internet. Belästigungen durch anonyme Emails, pornographische Websites, grob beleidigende chats – es gibt viele unterschiedliche Versuche, Frauen im "Cyberspace" zu bedrohen, sie zu verdrängen bzw. ihnen zumindest die Freude an neuen Technologien zu nehmen. Anonymität und neue einfach zu nutzende technische Möglichkeiten machen es möglich, daß pornographische Bilder oder Filme mit dem Bild und Namen jeder einzelnen Frau hergestellt und verbreitet werden können. Und immer noch spucken die gebräuchlichsten Suchmaschinen an der Universität auf vollkommen unverfängliche Anfragen eine Vielzahl von pornographischen Websites aus.

Es ist auch kein Zufall, daß sexuelle Gewalt an der Hochschule nicht selten ist. Sexuelle Übergriffe hängen unmittelbar mit dem Geschlechterverhältnis zusammen. Sie sind durch die beiden Faktoren Machtmißbrauch und Mißachtung (gegenüber der Betroffenen und gegenüber von Frauen im allgemeinen) gekennzeichnet. Je unausgewogener das Geschlechterverhältnis ist, um so leichter entsteht ein Klima der Mißachtung von Frauen. Eine geschlechterparitätische Besetzung aller Status- und Hierarchiegruppen in Universitäten ist daher dringend notwendig. In Regensburg betrug der Anteil der Studentinnen im Wintersemester 1998/99 52%, unter den Erstsemestern 58%. Je höher eine Statusgruppe in der Hierarchie angesiedelt ist, um so geringer wird aber der Anteil der Frauen. Der Anteil der Professorinnen beträgt in Regensburg nur knapp 3%.

Daß Frauen an der Spitze der Universität kaum vertreten sind, trägt zu einem Klima bei, in dem sexuelle Belästigungen und offene Diskriminierungen oft immer noch als "Kavaliers"-Delikte und Altherren"witze" durchgehen. Die unterschiedlichen Situationen von sexueller Belästigung, die wir im ersten Kapitel ‚ein ganz normaler Uni-Tag‘ zusammengefaßt haben, sind nur die authentischen Erlebnisse der Frauen unserer Initiative und aus unserem unmittelbaren Umkreis. Wieviele derartige Situationen wird es dann wohl im Alltag aller Frauen an der gesamten Universität geben? Vorlesungen werden mit Sprüchen "gewürzt", wie z. B., daß die anwesenden Studentinnen "doch nur hier sitzen würden, um einen reichen Mann zu angeln". Und nach dem Rigorosum wird der Kandidatin gewünscht, daß sie "trotz" Doktortitel noch einen Mann finde. (Beide Beispiele aus der Juristischen Fakultät). Bei Prüfungen müssen sich Frauen immer noch vom Prüfer als Emanzen belächeln lassen, wenn sie ein Thema aus der Frauenforschung wählen.

Auch der zweite für sexuelle Übergriffe bestimmende Faktor - Macht - ist an der Universität besonders ausgeprägt durch die starken und starren Hierarchien zwischen - fast ausschließlich männlichen - Professoren einerseits, StudentInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen andererseits und die starken persönlichen Abhängigkeiten an der Universität von oft einzelnen Professoren. Diese Hierarchien und Abhängigkeiten können zum einen besonders leicht ausgenutzt werden und machen es zum anderen besonders schwierig, sich zu wehren.

Zu häufig wird immer noch nur von den Frauen Handeln gefordert, sie sollten einfach noch mehr "Selbstbewußtsein" zeigen. Wichtig ist uns, daß sexuelle Gewalt kein "Frauenthema" ist. Es reicht nicht, daß Frauenbeauftragte und Beratungsstellen wie der Notruf Angebote für betroffene Frauen machen, wie diese besser mit den Folgen bereits stattgefundener Übergriffe fertig werden können. Den Frauen darf nicht die alleinige Verantwortung für die Veränderung der Gewaltverhältnisse aufgebürdet werden. Es geht uns darum, grundsätzlich Übergriffe zu verhindern. Dazu ist es nötig, eine andere, eine gleichberechtigte und angstfreie Atmosphäre an der Universität zu schaffen. Das heißt: Das Thema sexuelle Übergriffe betrifft ausnahmslos alle Angehörigen der Universität.

Die Resonanz auf die Broschüre ist enorm. Aus dem ganzen Bundesgebiet gehen Bestellungen ein, denen wir aufgrund der Begrenztheit der Auflage schon gar nicht mehr nachkommen können. Jetzt, Anfang Juni, sind die 3000 Exemplare, mit deren Verteilung Anfang Mai begonnen wurde, schon fast vergriffen. Daher ist sie jetzt nur noch auf Anfrage bei den Fachschaften, im Büro der Frauenbeauftragten (Verw-Geb. Zi. 160d), den Fakultätsfrauenbeauftragten und bei mir (Zi. RW (S) 204) erhältlich. Innerhalb von nur zwei Wochen wurden über 1000 Exemplare vor der Mensa mitgenommen. Gerade von Frauen - aber auch von vielen Männern haben wir sehr positives Feedback erhalten - oft mit der Begründung, daß sie auch schon dieses oder jenes erlebt oder gehört haben. Mit der Eröffnung solcher Gespräche sind wir dem Ziel schon ein Stück näher gekommen. Die Leitung der Universität hat mit der Finanzierung der Broschüre ein wichtiges Signal gegen sexuelle Übergriffe – und für einen angst- und diskriminierungsfreien Raum Hochschule gesetzt. Jetzt hoffen wir auf die Finanzierung eines Nachdrucks.

Christiane Rohleder


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letzte Aktualisierung: 23. August 1999