Jurassic SS 1999

WULLENWEVERS WIDERWORTE


NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND!

LIEBE KOMMILITONINNEN UND KOMMILITONEN!
(AVETE STUDIOSI!)

Immer, wenn ich wirklich am Ende meiner motivativen Kräfte bin, entschließe ich mich, die Fakultät zur geistigen Erbauung zu besuchen.

Als Vorwand und zur Gewissensberuhigung diente mir diesmal der Wunsch, zu erfragen, wie es mit der Besetzung der wahrscheinlich schon seit meinem Studienbeginn vakanten Lehrstühle ausschaut.

Um mich für den Spießrutenlauf zwischen den Lehrstühlen und der Fachschaft zu stärken, nahm ich zunächst einen Platz in der permanenten Schlange in der Cafete ein. Das Angebot bestaunend, teilte ich meine Verzückung einer vor mir gehenden Kommilitonin mit den Worten mit: „Schönes Fräulein, ich bin von der Auslage echt beeindruckt." Sie begann, mich als Dreckschwein und sogar als Vergewaltiger zu beschimpfen, während sie mit einer grünen Karte vor meinem Gesicht rumwedelte, als ob diese ein Kruzifix beim Exorzismus wäre. Hatte ich vielleicht bei der Strafrechtsreform etwas verpaßt? War ich wirklich schon so lange nicht mehr an der Uni gewesen? Wodurch waren meine reizenden Kommilitoninnen nur so gereizt worden? Also führte mich mein Weg in die Bibliothek, um bei Tröndle und Fischer Trost und Antwort zu finden.

Doch stieß ich bei meiner Suche auf die nächsten Probleme des Universitätsbesuches. In der gesamten Bibliothek war (und ist) nur ein StGB-Kommentar mit den neuen Änderungen zu finden und auch beim Griff nach der letzten Auflage des Wessels ging meine Hand ins Leere. So entschied ich mich in Unkenntnis der Rechtslage, mich im Schutze der Bibliothek zu verstecken, bis die größte Gefahr gebannt zu sein schien. Aufgrund der überschüssigen Zeit kam mir folgender Gedanke: Warum neue Bücher, wenn man doch das ganze Rechtsgebiet auch abschaffen könnte? Das hätte durchaus Vorteile. Man müßte sich zum Beispiel nicht mehr darüber streiten, wo mit der Eindämmung der Stoffflut begonnen werden müßte. In Betracht kämen im Zuge der Einsparung das gesamte Handelsrecht und Strafrecht BT, da es eben trotz der inzwischen 1-1 ½ Jahre alten Reformen (6. Strafrechtsreformgesetz, Handelsrechtsre-formgesetz) keine aktuellen Bücher in der Bib gibt.

Manche Dozenten reagieren bereits jetzt auf die anscheinend gewollte Stoffverknap-pung, indem sie in anderen Fächern höhere Maßstäbe setzen und damit gute Erfolge erzielen. So ist ein erfolgreiches Mittel, in Zivilrechts-Anfängerübungen Stoff abzufragen, der offiziell erst im 3. Semester gelehrt wird. Hut ab! Auf diese Weise wird man nicht nur Dilettanten los, die keine Ahnung haben, sondern auch diejenigen, die bislang noch Spaß am Jurastudium hatten! Die übrigen Unwürdigen kann man dann noch aussieben, indem man bei der Korrektur richtige Aussagen als grobe Fehler wertet. So wird auch zusätzlicher Aufwand im Rahmen der geplanten Zwischenprüfung vermieden.

Über diesen Überlegungen sank ich in friedlichen Schlummer und träumte von genügend Arbeitsplätzen für alle 10 verbliebenen Absolventen der Fakultät. Unsanft geweckt wurde ich vom wohltönenden Klang der Schlußklingel, die anscheinend ganz nach Stimmung der Mitarbeiter 5 bis 15 Mal geläutet wird und so wirklich das abschließende Arbeiten zu unterbinden versteht.

Jetzt endlich traute ich mich, die Sicherheit der alten gefestigten Bücher zu verlassen. Glücklicherweise traf ich noch die letzten Zweitsemester in der Fachschaft an. Endlich klärte sich auch die Rechtslage. Mit Interesse las ich die grüne Broschüre der Frauenbeauftragten, die neben sehr vielen ernstzunehmenden Mahnungen und Darstellungen auch interessante Steigerungen wie

„1. Blick à 2. Kompliment à 3. Berühren à 4. Küssen à 5. Vergewaltigen" bildete. Jetzt wurde mir einiges klar.

Gleich am nächsten Morgen suchte ich nach Lektüre der Broschüre ein Reitsportfachgeschäft auf, um mir Scheuklappen zuzulegen (denn ich hatte gelernt: auch Blicke belästigen). Komplimente mache ich meiner Freundin jetzt nur noch zu Hause.

So geschützt konnte ich mich wohl noch einmal in die Uni wagen, um die Besetzung der Lehrstühle zu erfragen.

Nachdem ich unbehelligt und ohne grüne Karte bis in die Fachschaft gelangt war, konnte ich erfahren, daß endlich, endlich die Besetzung der Lehrstühle in nahe Zukunft gerückt war. Zu meiner Erleichterung konnte ich feststellen, daß trotz grüner Broschüre der Verfall des Patriarchats in der Fakultät zumindest teilweise aufgehalten werden konnte. Die Herren Professoren lassen sich nämlich von einer unangenehm selbstbewußten Lehrstuhlbewerberin aus Österreich mit Sonnenbrille im Haar nicht blenden. Denn sicheres Auftreten und dogmatische Qualität schließen sich ja aus.

Ich jedenfalls will lieber ein guter Dogmatiker werden.

Herzlichst

Euer Josef B. Wullenwever


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letzte Aktualisierung: 23. August 1999