Jurassic WS 1998/99

IN EIGENVERANTWORTUNG ZUM STUDIENERFOLG

Dr. Christian Heidtsch
Zugleich Besprechung von Kallert/Marschner/Schreiber/Söder: Das erfolgreiche Jurastudium - Eine praktische Anleitung, Frankfurt/Main, 1998.

Wie im Vorwort des Werkes - nach Ansicht des Rezensenten mit Recht - angemerkt wird, ist "ein eigenständiges Interesse an der Rechtswissenschaft selbst und eine darauf aufbauende positive Einstellung zum eigenen Studienweg der Schlüssel zum Examenserfolg". Anliegen des Buches ist es daher zu zeigen, "wie die Freiräume der Ausbildungsgesetze für eine solche selbständige Motivation genutzt werden können." Um das Einleben zu erleichtern, werden für die ersten Semester praktische Hinweise für die richtige Lerntechnik, die Suche nach und den Umgang mit Fachliteratur, die Anfertigung von Klausuren und Hausarbeiten gegeben. In der mittleren Studienphase soll "bei den Leserinnen und Lesern vor allem ein Emanzipationsprozeß unterstützt" werden, indem etwa der Zugang zu bestimmten Teilgebieten und -problemen der Rechtswissenschaft erleichtert wird, die typischerweise allenfalls gestreift werden, oder indem Entscheidungshilfen für die Frage des Studienortwechsels und des Auslandsaufenthalts gegeben werden. Die dargestellten Strategien der Examensvorbereitung schließlich folgen ebenfalls dem Anspruch, den Studienerfolg durch selbstbestimmte Motivation zu erreichen.

Dem Ziel, eine Anleitung für eine eigenverantwortliche Gestaltung des Jurastudiums zu liefern, wird das Buch in überzeugender Weise gerecht. Mit den Strategien zum richtigen "Einstieg" in das juristische Lernen (S. 42 ff.) lassen sich die Orientierungsprobleme am Studienanfang erheblich abmildern. Nachdrückliche Zustimmung verdient in diesem Zusammenhang der Hinweis (S. 42; vgl. auch S. 187 f.), daß es in universitären Übungsarbeiten und im Examen weniger auf flächendeckendes Detailwissen, sondern maßgeblich auf Transferfähigkeiten, juristisches Verständnis und methodisch korrektes Arbeiten ankommt, d. h. die Fähigkeit geprüft wird, die Rechtsprobleme eines Falles anhand des Gesetzes vertretbar zu lösen. Diese Fähigkeit setzt eine systematische Durchdringung des Stoffes voraus, d. h. Kenntnis der Strukturen eines Rechtsgebiets auf abstrakter Ebene. Die gegenüber der rein fallorientierten Lernmethode geäußerte Skepsis (S. 47) ist daher berechtigt. Da unterschiedliche Wege zum Lernerfolg führen, ist ein selbstverantwortlicher, den jeweiligen "Lerntyp" berücksichtigender Umgang mit dem universitären Lehrangebot angezeigt (S. 48 ff.). Daß eine 35-40-Stunden-Woche als angemessen angesehen wird (S. 56 f.), mag manche überraschen, scheint aber realistisch. Von Anfang an (annähernd) eingehalten, hätte dieses Wochenpensum den nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß die Lernintensität auch in der Examensvorbereitung kaum erhöht zu werden braucht. Was die Lernmittel angeht, bevorzugen die Autoren für den ersten Zugang zu einem Rechtsgebiet zu Recht das Kurzlehrbuch gegenüber Repetitorskripten und in verfehlter Weise simplifizierenden "Grundrissen" o dgl. aus dem Selbstverlag (S. 60 f.). Gut zu gebrauchen sind die Ratschläge zur Technik der Fallbearbeitung (S. 80 ff.) in Übungsklausur und -hausarbeit mit berechtigter Warnung vor der "schizophrenen Zitierweise" (S. 91 f.), bei der ein Autor als Beleg für mehrere Auffassungen herhalten muß.

Ebenfalls uneingeschränkte Zustimmung verdient der Vorschlag (S. 113), die Mittelphase des Studiums, d. h. die nicht fest abgegrenzte Zeit nach dem Eingewöhnen an der Uni und im Studium, in der aber noch nicht "für das Examen gelebt" wird, als die interessanteste Phase des Studiums anzusehen und zur Entwicklung und Pflege eigener Interessen auszunutzen. Hierzu enthält das Buch zum einen eher praktische Hinweise und Entscheidungskriterien zu den gängigen Themen Studienortwechsel, Praktika, Zusatzqualifikationen und Auslandsstudium (S. 117 ff.). Darüber hinaus wird jedoch energisch und völlig zu Recht aufgefordert zum Blick über den Tellerrand der unmittelbar klausur- oder examensrelevanten Rechtsanwendungstechnik (S. 141 ff., 158 ff.), sei es im Rahmen eines Zweitstudiums oder durch Beschäftigung mit juristischen Themen, die im Kanon der Examensfächer nicht oder nur am Rande vorkommen. Dabei ist es - wie zu Recht angemerkt wird (S 137 ff.) der individuellen Entscheidung überlassen, entweder auf den Freischuß hinzuarbeiten oder sich Zeit zu Ausflügen auch in entlegenere Ecken der Jurisprudenz zu nehmen. Für beide Varianten gibt es natürlich gute Gründe, so daß eine hierdurch erklärbare etwas längere Studiendauer nicht unbedingt Anlaß für ein schlechtes Gewissen sein und auch nicht zwangsläufig zu schlechteren Berufsaussichten führen muß.

Auch für den Freischuß gilt die im Buch (S. 193) allerdings nur im Zusammenhang mit der Wiederholung zur Notenverbesserung deutlich formulierte Maxime: "Das Ziel muß so gesteckt sein, daß der erste Versuch zugleich der letzte ist. Keine Abstriche an der Intensität der Vorbereitung, weil man es ja noch einmal versuchen kann!" Anderenfalls besteht die Gefahr, daß beide Versuche nicht mit voller Kraft angegangen werden und daher nicht das optimal Mögliche erreicht wird, im ersten Versuch, weil er "ja nur zur Probe" ist, im zweiten, weil mit einem bereits bestandenen - wenn auch nicht optimalen - Examen die notwendige Energie zum intensiven Lernen und während der Klausurwochen selbst der nötige Kampfgeist fehlt. Von den Vorschlägen zur Planung und Durchführung der "heißen Phase" der Examensvorbereitung (S. 194 ff., 211 ff.) seien hier nur die nach Ansicht des Rezensenten wichtigsten genannt: Der Zeitraum sollte keinesfalls über eineinhalb Jahre ausdehnt werden, weil jenseits dieser Grenze der Kampf gegen das Vergessen zu viel Energie kostet. Die Frage nach dem Besuch eines kommerziellen Repetitoriums ist nur eine im Rahmen der Examensvorbereitung zu treffende Entscheidung unter vielen - keineswegs die grundsätzliche Weichenstellung (S. 196 ff.). Zur Prüfungsvorbereitung kommen als Alternativen noch eine Privat-Arbeitsgemeinschaft und das universitäre Angebot an Wiederholungsveranstaltungen in Frage. Bei alledem ist zu berücksichtigen, daß das "unscheinbare Kernstück jeder Examensvorbereitung die einsame Arbeit am Schreibtisch" ist, die mindestens die Hälfte der Arbeitszeit einnehmen dürfte. Die den kommerziellen Repetitorien nachgesagte disziplinierende Wirkung kann kostengünstiger durch eigenverantwortlichen Umgang mit Universitätsveranstaltungen und mehr noch durch eine Privat-AG erzielt werden. Was die Konzentration auf das Examenswesentliche angeht, schneidet die Uni im Vergleich zum Repetitor wahrscheinlich sogar besser ab, weil in den UniReps das für das Examen wesentliche Verständnis der Systematik zu vermitteln versucht wird, während die vom Repetitor bevorzugte Fallmethode dazu führt, daß eine Unmenge von Details auswendig gelernt werden, in der Prüfung aber dummerweise gerade die Probleme drankommen, die man sich nicht mehr hat merken können, für die man in Ermangelung systematischen Verständnisses aber auch keine vertretbare Lösung "improvisieren" kann.

Für eine gelungene Examensvorbereitung ist eine ausgearbeitete schriftliche Zeitplanung als Mittel der Selbstkontrolle und Zielformulierung von entscheidender Bedeutung (S. 211 ff.). Ausgangspunkt für deren auf den Stoffkatalog der Prüfungsordnung, die individuelle Lernstrategie und den Stand der Vorkenntnisse abgestimmte Anfertigung können neben den S. 213 ff. abgedruckten Stoffplänen auch Kurspläne eines kommerziellen oder universitären Repetitoriums sein. Der Stoffplan sollte in einer Arbeitsplanung in realistische Arbeitsschritte umgesetzt werden, unter Berücksichtigung des persönlichen Tagesrhythmus, für den Lernerfolg notwendiger Pausen und bei Vermeidung unrealistisch hoher Tagespensen. Dabei sollten Lehrveranstaltungen - gleich ob universitär oder kommerziell - als Gelegenheit zur aktiven Beteiligung genutzt werden.

Naturgemäß hat der Klausurenkurs besondere Bedeutung, aber neben einer gewissen Kontrolle des Lernfortschritts nur zum Üben des Umgangs mit der für das Examen charakteristischen Anhäufung von Rechtsproblemen, der richtigen Gewichtung und vor allem der Zeiteinteilung. Der Klausurenkurs dient dagegen nur am Rande zur Erweiterung des materiellen Wissensstands, weshalb das Schreiben einer zu großen Anzahl (über 50) von Übungsklausuren nicht zu empfehlen ist. Den vollen Effekt hat der Klausurenkurs nur, wenn auch die Besprechungstermine wahrgenommen werden. Auch die wesentlichen Fragen der Arbeit in der Kleingruppe werden dargestellt (S. 230 ff.), von der Auswahl der Mitglieder, der Arbeitsplanung, dem Ablauf der einzelnen Sitzungen bis hin zum Umgang mit Problemen wie dem zu Anfang der Lernphase gelegentlich auftretenden "Kaffeekränzchen-Syndrom", mit Platzhirschgehabe oder "Durchhängern" einzelner Mitglieder. Von den Hinweisen, mit denen das Durchstehen der Klausurwochen erleichtert werden soll (S. 240 ff.), seien nur drei hervorgehoben: Rechtzeitig das Lernpensum zurückschrauben; die körperliche Verfassung stärken (Klausurexamen als Konditionstest); und - ganz wichtig - während der Klausurentage immer nach vorn schauen, d. h. die am Vormittag geschriebene Klausur nach Möglichkeit sofort wieder vergessen und nicht nachmittags nach (vermeintlichen) Fehlern fahnden.

Alles in allem: Ein Werk, dem zahlreiche Leserinnen und Leser zu wünschen sind.


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letzte Aktualisierung: 23. April 1999